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Erfahrungsbericht – Revolutionäre Solidargemeinschaft

Tuk von »ST« |aktuell 10 Personen | besteht seit 7 Jahren

ST erwächst aus den Erfahrungen im Hambacher Forst. Dort machten Teile der heutigen Gruppe die Erfahrung, dass es sehr frustrierend und schmerzhaft sein kann, wenn man sich innerhalb eines politischen Projekts nicht aufeinander verlassen kann und aufgrund unterschiedlicher politischer Strategien und Weltanschauungen sogar beginnt, gegeneinander zu arbeiten.

Ausgehend von den Reflexionen hierüber entstand der Wunsch und dann bald auch ein erstes Konzept für das, was wir zunächst unsere Bezugsgruppe und zeitweise auch unsere revolutionäre Solidargemeinschaft oder Wahlfamilie nannten (im Folgenden BG, kurz für Bezugsgruppe). Diese sollte uns in die Lage versetzen, unser gesamtes Leben der revolutionären politischen Arbeit zu widmen, vollzeitaktiv für den gesellschaftlichen Wandel zu sein und uns hierfür Halt und Sicherheit geben. Sie sollte sowohl ein Instrument für den politischen Kampf sein, als auch Keim einer neuen Gesellschaft, der bereits neue Beziehungsweisen in sich trägt; sie sollte einen Prozess des gleichzeitigen und wechselseitigen Wandels vorantreiben, der unsere kollektive Selbstveränderung und die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse miteinbezieht.

Hierfür sahen wir drei Säulen als zentral an, damit die BG diese Funktionen erfüllen kann. Zunächst war da die politische Säule: Die BG war der zentrale Ort unserer politisch-ideologischen Debatten, Bildung und Weiterentwicklung. Hier diskutierten wir über Strategie und Taktik, Theorie und neue Projekte – diese gingen wir auch von hier aus an.

Die zweite Säule war die sozial-emotionale Säule. Gemeinsam die Welt verändern wollen und durch Dick und Dünn gehen, schweißt zusammen, braucht diese Verbindung und den Halt, den sie gibt, zugleich aber auch. Denn die Welt in der wir leben, macht es uns nicht leicht, diesen Weg zu gehen: Überall – in der Familie, Schule, Universität, auf der Arbeit, bei alten Freund*innen, in den Medien usw. – bekommen wir zu hören, dass es verrückt sei, sein Leben der Revolution zu widmen anstatt dem eigenen Wohlbefinden innerhalb des Bestehenden.

Die BG ist das Gegengewicht zu dieser Dauerbeschallung. In ihr geben wir uns die Gewissheit, dass es im Gegenteil verrückt wäre, nicht alles auf einen Bruch mit dem Bestehenden und einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft zu setzen. Wir sind füreinander da, wenn es schwer ist, den Weg zu gehen und versuchen auch in Momenten der Ratlosigkeit und des Weltschmerzes, einander beizustehen. Gemeinsam feiern wir Siege, die wir erringen können und blasen so neue Kraft in die Glut. Außerdem unterstützen wir uns kritisch in dem Versuch, verinnerlichte Strukturen der Unterdrückung zu überwinden und wahrhaft revolutionäre Persönlichkeiten zu entwickeln.

Die dritte Säule schließlich ist die ökonomische Säule. Nicht nur wird uns von allen Seiten zugerufen, dass unser Weg ein irrsinniger sei und uns nur schaden wird; die gesellschaftlichen und besonders die wirtschaftlichen Verhältnisse selbst vereinzeln uns, stellen uns gegeneinander und strafen uns mit materiellen Entbehrungen, wenn wir nicht nach den Regeln spielen.

Dem setzen wir die gemeinsame Ökonomie entgegen. Sie bricht die finanzielle Vereinzelung auf und schafft neue Beziehungsweisen zueinander und zum nun nicht mehr privaten Eigentum. Zugleich gibt sie uns Halt und Sicherheit. Inzwischen besteht unsere BG seit sieben Jahren und seit sechs Jahren haben wir eine GemÖk. Tatsächlich ist die BG das zentrale Werkzeug, durch das ich mein Leben so ausrichten kann, wie ich es will: Auf den Bruch mit dem Kapitalismus und den Aufbau einer anderen Welt.

Alleine diese Tatsache verleiht unserem Konzept eine gewisse Bestätigung. Jedoch gibt es auch offene Fragen, die sich uns mit den Jahren gestellt haben und auf die wir noch keine Antworten finden konnten. Wir sind uns zum Beispiel unsicher, ob bzw. inwiefern die BG wirklich alle drei Säulen abdecken kann. Viele von uns sind mittlerweile in verschiedenen politischen Organisationen aktiv, führen viele politisch-ideologische Debatten dort und definieren auch ihre politischen Aktivitäten über diese Organisationen statt über die BG, auch wenn diese ein Ort der Debatten und politischen Ausrichtung bleibt. Zudem leben wir nicht alle am selben Ort und in der Vergangenheit ist es uns schmerzhafterweise öfter nicht gelungen, füreinander da zu sein, wenn wir uns am meisten brauchten.

Letztlich scheint die unerschütterlichste Säule unserer BG die GemÖk zu sein. Ich denke nicht unbedingt, weil sie uns am wichtigsten wäre, sondern einfach, weil sie die am wenigsten widersprüchliche Säule ist und eine materielle Basis darstellt, die uns nahelegt, zusammenzuhalten.