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4.3 Netzwerke des Teilens

Im Folgenden wollen wir kurz drei Möglichkeiten umreißen, wie sich Kleingruppen-GemÖks in größere Netzwerke der Solidarität einbinden können:

  • Die GemÖk hoch 2
  • ·Commons·-Strukturen
  • ·Commons·-Verbünde

Tiefergehende Infos zu den verschiedenen Ansätzen findest du bei 5.1. Weiterführende Medien

4.3.1 GemÖk hoch 2

Das spezifische Konzept der Kleingruppen-GemÖk lässt sich potenzieren, wenn sich mehrere GemÖk-Gruppen zu einem solidarischen Netzwerk zusammenschließen. Eine »GemÖk hoch zwei« sozusagen, in der weite Bereiche der konkreten Geld-Orga und des sozialen Miteinanders weiterhin in der Kleingruppe organisiert werden. Geld und andere Ressourcen werden aber auch gruppenübergreifend tauschlogikfrei geteilt. Dadurch wird die Reichweite des Teilens erheblich erweitert und kollektive Handlungsmacht aufgebaut. So eine Vernetzung adressiert zentrale Grenzen einzelner GemÖks:

Instabilität durch Fluktuation überwinden:

Wenn eine Person eine GemÖk mit nur wenigen Mitgliedern verlässt, kann die gesamte Gruppe in Gefahr geraten. In einem Netzwerk mehrerer GemÖks bleiben Strukturen auch bei individuellen Veränderungen stabil. Menschen können zwischen Gruppen wechseln oder neue gründen, ohne dass bestehende Solidarstrukturen zusammenbrechen.

Solidarischer Ausgleich statt ungleicher Verteilung:

Manche GemÖks haben mehr finanzielle Möglichkeiten als andere – etwa wenn Mitglieder gut bezahlte Jobs haben. Andere teilen prekäre Verhältnisse und kämpfen mit chronischem Geldmangel. Durch gruppenübergreifendes Teilen wird dieser strukturelle Unterschied ausgeglichen.

Mehr Selbstbestimmung, weniger Marktabhängigkeit:

Je mehr GemÖks sich vernetzen, desto mehr Bedürfnisse können jenseits des Marktes befriedigt werden – durch gegenseitige Unterstützung, ·Skill-Sharing· und den Aufbau gemeinsamer Infrastrukturen. Die Abhängigkeit von ·Lohnarbeit· und Marktstrukturen sinkt für alle Beteiligten.

Politische Sichtbarkeit und gesellschaftliche Relevanz:

Einzelne GemÖks bleiben oft unsichtbar oder sind in ihrem Wirken nach innen gerichtet. Vernetzte Strukturen können öffentlich wirksamer auftreten, Wissen verbreiten und weitere Menschen inspirieren.

In den letzten Jahren haben Projekte wie das »Solidarnetz« erste Schritte in Richtung einer GemÖk² unternommen – als Plattform für Austausch, gegenseitige Unterstützung und übergreifendes Ressourcen-Teilen zwischen verschiedenen solidarischen Bezugsgruppen. Diese Ansätze zeigen, dass eine Vernetzung praktisch möglich ist, auch wenn sie mit Herausforderungen einhergeht.

Hier liegt ein weites Experimentierfeld für neue Formen der Solidarität: Wie können GemÖks sich vernetzen, ohne neue Hierarchien oder exklusive Strukturen zu schaffen? Wie lässt sich Verbindlichkeit herstellen, ohne Freiheit einzuschränken? Solche Versuche sind keine fertigen Lösungen, sondern lebendige Prozesse – und genau darin liegt ihre transformative Kraft.

Tipp: Unter Der Weg zur GemÖk Hoch2 findest du Ideen, wie du eine GemÖk² selbst mit aufbauen kannst.

4.3.2 GemÖks und Commons

Während GemÖks auf solidarisches Wirtschaften in Kleingruppen setzt, folgen Commons einem anderen, aber ergänzenden Ansatz. Commons sind Güter, Ressourcen oder Räume, die gemeinschaftlich gepflegt und genutzt werden – jenseits von Markt und Staat. Sie gehören weder einzelnen Personen noch werden sie zentral verwaltet, sondern von einer Gruppe oder einem losen Netzwerk von Individuen selbstorganisiert bewirtschaftet.

In der Praxis gibt es vielfältige Beispiele für Commons:

  • Nachbarschaftsgärten, die Lern- und Begegnungsräume für alle schaffen und Lebensmittel produzieren
  • Mitmach-Cafés, Offene Theken und Infoläden, in denen jede Person nach ihren Möglichkeiten beiträgt
  • Solidarische Wohnprojekte und Seminarhäuser, um die sich die Menschen kümmern, die dort wohnen bzw. die sie nutzen
  • Repair-Cafés oder Fahrradwerkstätten, in denen Werkzeug für alle zur Verfügung steht und Wissen miteinander geteilt wird
  • Leih-Läden und Umsonstläden, in denen Gegenstände entweder kostenlos ausgeliehen werden können oder verschenkt werden
  • Digitale Commons wie Open-Source-Software, freie Bildungsmaterialien oder Creative CommonsMatrix: GemÖks und Commons
GemÖkCommons
Tendenziell geschlossene GruppeTendenziell offene Zugänglichkeit
Fokus auf solidarischem Umgang mit GeldFokus auf nicht-finanziellen Ressourcen
Verbesserter Lebensstandard und zeitliche Freiräume für EinzelneVerbesserter Lebensstandard für viele
Reduziert Geldabhängigkeit, schafft aber selbst keine Alternative zum Geldsystem und der kapitalistischer ProduktionKann langfristig Geld überflüssig machen, indem Commons für alle Lebensbereiche (Lebensmittel, Wohnen, …) aufgebaut werden

Stell dir vor, wie diese Ansätze zusammenwirken könnten: Du lebst in einem selbstorganisierten Wohnprojekt mit tauschlogikfreier Mietzahlung und beziehst deine Lebensmittel über eine Solidarische Landwirtschaft. Gleichzeitig bist du Teil einer GemÖk, die dir nicht nur finanzielle Sicherheit gibt, sondern auch emotional für dich da ist. Stell dir vor, was du mit deiner Zeit anfangen könntest, wenn du dich nicht ständig um dein Einkommen sorgen müsstest, weil immer weniger Lebensbereiche direkt an Geld gekoppelt sind. Du könntest einen Großteil deiner Zeit und Energie in tauschlogikfreie Projekte stecken, die möglichst vielen Menschen grundlegende Dinge ohne Geld zugänglich machen. Vielleicht baust du eine solidarische Küche auf oder teilst dein Handwerkswissen in einer offenen Werkstatt?

Das ist keine ferne Utopie! An verschiedenen Orten leben Menschen bereits so. Sie verbinden die hohe Verbindlichkeit der Kleingruppe mit der Offenheit der Commons und entwickeln damit konkrete Alternativen zum Bestehenden – Alternativen, die nicht nur für wenige Eingeweihte funktionieren, sondern für immer mehr Menschen und andere Lebewesen (wieder) zugänglich werden.

4.3.3 Commons-Verbünde

Stell dir vor, du bist Teil mehrerer Commons-Projekte – vielleicht einer Offenen Werkstatt, eines Hausprojekts und einer selbstorganisierten Kita. Du liebst die Grundideen, aber die praktische Umsetzung wird manchmal stressig: Für jedes Projekt gibt es separate Beitragsrunden, Diskussionen über Finanzen und viele Treffen. Hier setzt die Idee eines Commons-Verbunds an.

Ein Commons-Verbund ist ein Netzwerk verschiedener Commons-Projekte, die zusammenarbeiten, ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Statt jedes Projekt einzeln zu organisieren und zu finanzieren, werden Ressourcen, Verantwortung und auch finanzielle Mittel gemeinsam verwaltet. Dabei bleibt die Entscheidungsmacht über die konkreten Projekte bei den jeweiligen Gruppen – es entsteht keine zentralisierte Entscheidungsstruktur.

Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Weniger Organisationsaufwand
    Statt für jedes Projekt einzeln Beiträge zu sammeln, können gemeinsame Finanzierungsrunden stattfinden. Die Projekte geben ihre Bedarfe an, und Menschen im Verbund entscheiden, wie viel sie insgesamt beitragen können – ob mit Zeit, Geld oder anderen Ressourcen.
  • Direkte Kooperation statt Umwege
    Wenn Projekte unmittelbar zusammenarbeiten – etwa wenn die Kita ihre Lebensmittel von der solidarischen Landwirtschaft bezieht – werden Geldtransaktionen unnötig. Die Projekte können sich direkt unterstützen, ohne den Umweg über Rechnungen und Zahlungen.
  • Mehr Freiheit für alle
    Je mehr Projekte sich gegenseitig ergänzen, desto weniger Geld wird benötigt. Menschen können sich stärker darauf konzentrieren, sinnvoll tätig zu sein, statt Geld verdienen zu müssen. Die Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt sinkt.

Ein Commons-Verbund bedeutet nicht, dass alle Projekte gleich sein müssen oder dass eine zentrale Instanz die Regeln vorgibt. Im Gegenteil: Die Projekte bleiben eigenständig, vernetzen sich aber horizontal und unterstützen sich gegenseitig. Diese Dezentralität ist ein Schlüssel zum Erfolg – sie ermöglicht Vielfalt, Flexibilität und echte Selbstbestimmung.

4.3.4 Widerständige Netzwerke gelebter Utopie

GemÖks und andere solidarische Ansätze mit Fokus auf dem Aufbau von alternativen Lebensweisen werden nicht ausreichen, um die Ungerechtigkeit, Gewalt und Ausbeutung von herrschaftlichen Systemen wie Patriarchat und Kapitalismus zu überwinden. Denn wer sich nur zurückzieht, um gelebte Utopien im Kleinen zu erschaffen, wird früher oder später mit der Dystopie im Großen in einen existenziellen Konflikt geraten. So wird zum Beispiel der Aufbau und die Pflege von ·queer·freundlichen Räumen nicht reichen, um die stetig heranwachsende queerfeindliche Gewalt abzuwehren. Und auch der ökologischste Gemüsegarten wird nicht allein durch seine Existenz den Ölkonzern aufhalten, der vor der Haustür das Grundwasser vergiftet.

GemÖks, Commons und andere solidarische Formen des Miteinanders müssen deshalb eigene kreative Werkzeuge entwickeln, die eine konstruktive sowie destruktive Widerständigkeit besitzen. Einfach gesagt: Damit ein gutes Leben für alle entstehen und bestehen bleiben kann, muss auch mal was kaputt gemacht werden, um herrschaftsförmige Strukturen zu überwinden. Dies kann Besetzungen, Diskursverschiebungen, Sabotageaktionen oder andere kreative Formen direkter Aktion umfassen.

Erst aus dem Zusammenspiel dieser verschiedenen Ansätze – im Dialog, in der Kooperation und in der gemeinsamen Praxis – können widerständige Netzwerke gelebter Utopie entstehen, welche den dystopischen Zuständen und Entwicklungen dieser Zeit etwas entgegensetzen können.

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