2.2 Trouble in Paradise – Konflikte, Krisen, Aushandlungen
Im besten Fall ist die GemÖk unsere Absicherung gegen Krisen des Lebens und der Welt. Sicherheit heißt aber nicht Stillstand. In einer GemÖk zu sein bedeutet, sich immer wieder neu auf Aushandlungen und Konflikte einzulassen.
Denn gerade das Thema Geld kann ein Auslöser für Streit sein. Dabei fühlen sich vermeintliche »Kleinigkeiten« schnell groß an, weil sich dahinter riesige Themen wie Privilegien und Diskriminierungen, Ängste und Bedürfnisse oder schon lange verinnerlichte Glaubenssätze und Verhaltensmuster verstecken. Und auch bei anderen Konflikten in der Gruppe liegen die Wurzeln oft in Kommunikationsproblemen oder im sozialen Gefüge. Auf einige dieser Grundkonflikte möchten wir im Folgenden eingehen.
2.2.1 Privilegien und die Beziehung zu Geld
Trotz möglicher Schamgefühle ist es wichtig, über Privilegien zu reden, denn sie haben Einfluss auf das individuelle Sein in der GemÖk. Der Begriff der Privilegien beschreibt dabei für Einzelne oder eine Gruppe geltende, besondere Rechte und Zugänglichkeiten, von denen andere ausgeschlossen bleiben.
In einer GemÖk sind das zunächst klar benennbare Unterschiede, wie z.B. das individuelle Vermögen und Einkommen, mit dem wir in die GemÖk starten. Andere Privilegien können wesentlich schwerer sichtbar sein. Zum Beispiel sind Menschen davon geprägt, aus welcher gesellschaftlichen Klasse sie kommen, und ob sie Erfahrungen mit Armut haben.
Unsere bisherigen Lebenserfahrungen und die eigene finanzielle Situation prägen unsere Beziehung zu Geld, unsere Gewohnheiten, Wünsche und Bedürfnisse. Menschen, die wissen, dass sie erben werden, können sich entspannter auf den Versuch GemÖk einlassen als jene, die sich Sorgen um ihre Altersvorsorge machen. Auch wie viel Zeit Menschen in die GemÖk stecken können, hängt von Privilegien ab.
Unausgesprochen können sie zu Differenzen in der Gruppe führen. Dabei reicht die Spanne an möglichen Vorwürfen von »Wieso bringst du dich nicht mehr ein?« hin zu »Lass’ mir mehr Zeit, das ist für mich eine große Entscheidung!«.
Auch an unterschiedlichen Konsumgewohnheiten können sich Konflikte rund um Privilegien auftun. Eine Person sagt z.B. »am Bio-Gemüse würde ich niemals sparen«, während eine andere noch nie Geld hatte, sich überhaupt solches Gemüse zu kaufen.
Ihr könnt euch als GemÖk das explizite Ziel setzen, Privilegien miteinander – und auch mit Anderen außerhalb der GemÖk – zu teilen und abzubauen. An die Grenzen dieses Wunsches zu kommen, ist dabei so frustrierend wie unausweichlich, solange wir in einer ungerechten Welt leben.
2.2.2 Hierarchien und Ausschluss-Dynamiken
Wie in allen Gruppen können sich auch in GemÖks soziale Hierarchien etablieren. Menschen, die z. B. weniger finanziell beitragen oder neu in der Gruppe sind, nehmen oft eine unsichere, zurückhaltende Position ein. Andere, die länger dabei sind oder enge Verbindungen zu vielen Mitgliedern haben, wirken sicherer und einflussreicher. Wer wie viel Raum bekommt, wem zugehört wird und wer sich eher zurücknimmt, sind wichtige Hinweise auf das Machtgefüge.
Auch Ausschluss-Dynamiken können auftreten – etwa wenn bestimmte Menschen besser miteinander auskommen. In einer GemÖk müssen nicht alle beste Freund*innen sein, doch die Bedürfnisse Aller sollten ernst genommen werden. Problematisch wird es, wenn sich eine Person dauerhaft als Außenseiter*in fühlt oder ständig im Widerspruch zur Gruppenstimmung steht.
Diese Strukturen zu erkennen und offen anzusprechen ist essenziell, um Veränderung möglich zu machen. Sprecht darüber, wie ihr gemeinsam Räume für Verbindung schaffen könnt: In welchen Situationen fühlt sich wer als Teil der Gruppe? Wo entstehen Nähe und Zugehörigkeit – beim Kochen, im Plenum oder beim Spieleabend? Ein achtsamer Umgang miteinander kann helfen, solche Dynamiken rechtzeitig zu erkennen. Die Verantwortung für ein gleichwertiges Miteinander liegt dabei bei allen Beteiligten.
2.2.3 (Gefühlter) Mangel
Wenn es um Geld geht, sind Entscheidungen nicht immer rational. Ob Mitglieder in einer Gruppe entspannt mit ihrer finanziellen Situation sind, sich bspw. gegenseitig Ausgaben gönnen, hängt viel mit der Grundstimmung zusammen. Liegt ein Mangelgefühl in der Luft, kann das schnell zu Konkurrenzdenken und -verhalten führen. Sprecht in solchen Momenten über eure Sorgen und Gefühle. Je nach Situation kann es wertvoll sein, die Ursachen der Emotionen zu ergründen (bspw. Vorerfahrungen mit Mangel). Organisatorische Entscheidungen und Diskussionen sollten dann erst mal warten.
2.2.4 Kontrolle und Verheimlichen von Ausgaben
Nah beieinander sein ist schön. Manchmal fühlen sich Menschen dadurch aber eingeengt. In Alltagsentscheidungen gibt es dann plötzlich »die GemÖk« im Hinterkopf, die jede Bewegung kontrolliert und beurteilt. Für jeden ausgegebenen Euro musst du eine Rechtfertigung parat haben, jede Entscheidung rational begründen. Das ist auf Dauer kein gutes Gefühl.
Besonders zu Beginn einer GemÖk ist es total normal, sich so zu fühlen, schließlich ist das Ganze eine große Umstellung. Für Menschen ist es teilweise einer sehr persönliche Entscheidung, wofür sie ihr Geld ausgeben. Diese mit anderen zu teilen, ist gruselig.
Dieses Unbehagen kann dazu führen, dass Mitglieder (Kauf-)Entscheidungen vor der GemÖk verheimlichen. Gründe dafür können sein, dass die Person sich schämt, nicht verurteilt werden will oder nicht in die Aushandlung gehen möchte. Vielleicht liegt es daran, dass ihre (Kauf-)Entscheidung eigentlich nicht zu den Werten der GemÖk passt und es Sorge vor einer Grundsatzdiskussion gibt. In solchen Situationen kann es helfen, sich einzelnen Mitgliedern der GemÖk anzuvertrauen, damit nicht »DIE GEMÖK« als krasse Übermacht und Projektionsfläche wahrgenommen wird.
Dabei muss die GemÖk natürlich nicht alles wissen. Man kann sich auf Grundpfeiler einigen, wie das gemeinsame Geld ausgegeben werden soll. Doch die GemÖk wird immer aus Individuen mit unterschiedlichen Meinungen und Konsumverhalten bestehen. Entscheidet zusammen, wie detailliert ihr individuelle Ausgaben dokumentieren wollt, und wo gegenseitiges Vertrauen vor absoluter Transparenz stehen kann. Wollt ihr einen Topf für »nicht erklärte« Ausgaben einführen?
Wie bei allen anderen Konflikten gilt auch hier: Wenn das Gefühl von Enge anhält, ist es ratsam, einen ehrlichen Austausch zu machen. In welchen Situationen fühlt ihr euch durch die GemÖk kontrolliert oder eingeschränkt?
Auf der anderen Seite lohnt es sich genauso, die Frage zu stellen »Wann habe ich den Impuls, Andere kontrollieren zu müssen?«. Denn auch ständig zu überwachen oder darüber verfügen zu wollen, was andere mit dem Geld machen, kann auf Dauer zu schwer aushaltbaren Dynamiken führen. Anstatt Energie in die Überprüfung jeder Ausgabe der Anderen zu stecken, ist es ratsam, sich darin zu üben, Vertrauen aufzubauen und im Zweifel auch Widersprüche auszuhalten.
2.2.5 Nahe Beziehungen in der Gruppe
GemÖk-Mitglieder haben unterschiedlich nahe Beziehungen zueinander. Sie können beispielsweise als Mitbewohner*innen zusammenleben oder in einer romantischen Beziehung sein. Besonders nahe Konstellationen haben aus zwei Gründen einen Einfluss auf die Gruppendynamik:
Erstens nehmen Menschen in solchen Beziehungen immer eine Doppelrolle ein, zum Beispiel als Mitbewohner*in und GemÖk-Mitglied. Dies kann zu Interessenskonflikten führen.
Ein Beispiel: Als Mitbewohner*in unterstütze ich die Idee einer Popcorn-Maschine, weil ich ein schönes Heimkino will. Als GemÖk-Mitglied finde ich die Ausgabe ehrlich gesagt eher unnötig.
Zweitens haben Konflikte zwischen einzelnen Personen immer auch Auswirkungen auf die ganze Gruppe. Das kann stressig sein, manchmal ist es aber auch ein großer Segen, wenn die Gemeinschaft einen Konflikt zwischen einzelnen mitträgt. So kann ein Raum (für Abstand oder Begegnung) entstehen, innerhalb dessen sich die Dinge bewegen können.
Auch wenn es sehr ungewohnt ist, lohnt es sich, als Gruppe über mögliche Szenarien, wie eine Trennung innerhalb der GemÖk oder langfristige Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedern zu reden. Wie wollen wir damit umgehen, wenn sich Beziehungen in der Gruppe ändern? Was wünschen sich die Beteiligten?
2.2.6 Verbindlichkeit und Verantwortung
Die Bereitschaft zur Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit gegenüber der GemÖk kann unterschiedlich stark sein, das ist normal. Zu Konflikten führt das meistens dann, wenn es sich auf das grundlegende Verantwortungsgefühl der Mitglieder für die Gruppe überträgt.
Zum Beispiel, wenn eine Person selten zu den gemeinsamen Calls kommt oder die Buchhaltungs-Tabelle nicht zuverlässig ausfüllt, weil es ihr zu viel ist. So kommt das grundlegende Sorgen und Kümmern um die Gruppe auf Dauer zu kurz.
Eine GemÖk funktioniert letztendlich wie jede langfristige Beziehung: Wir wollen uns von den anderen angenommen fühlen, auch mit unseren Fails, Macken und Lebenskrisen. Gleichzeitig sollten wir uns aufeinander verlassen können, nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch organisatorisch und finanziell. Hier geht es dann oft um die Priorisierung füreinander als langfristige Bezugsgruppe.
Wenn bei einzelnen in der Gruppe diese Priorität nicht mehr klar vorhanden ist, kommt es schnell zu einer Dynamik von »Wenn du dir nicht die Zeit dafür nimmst, warum sollte ich es tun?« und zu einem Gefühl von »Wenn dir das nicht wichtig ist, bin ich dir nicht wichtig, warum sollte ich weiter in die Beziehung investieren?«. Sprecht über euren Frust und eure Erwartungen an die anderen, um einen Teufelskreis von Enttäuschung und ungleicher Verantwortungsübernahme zu verhindern.
Keine Kommentare vorhanden
Keine Kommentare vorhanden