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Der Weg zur GemÖk hoch 2

Hinweis: dies ist eine Ergänzung zum Kapitel →4.3.1 GemÖk hoch 2

Einzelne GemÖks sind mächtige Werkzeuge der Selbstermächtigung, doch ihre transformative Kraft wird um ein Vielfaches potenziert, wenn sie sich vernetzen. Diese Netzwerke, manchmal auch als „GemÖk²“ bzw. „GemÖk Hoch 2“ bezeichnet, verbinden die Praktiken der Kleingruppen zu einem dezentralen Netzwerk gegenseitiger Hilfe.

In theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Thema GemÖk Hoch Zwei wurden folgende Gründe für die Notwendigkeit einer engeren Vernetzung zwischen GemÖks benannt1:

  • Probleme bei Austritt: Wenn eine Person eine GemÖk mit geringer Personenanzahl verlässt, löst sich die Gruppe eher auf.
  • Unterschiedliche Einnahmen: Manche GemÖks verdienen gut und werden reicher, andere teilen ihre prekären Lebensverhältnisse.
  • Abhängigkeit vom Markt: GemÖks bleiben oft nur bestehen, wenn sie bereit und in der Lage sind, am Markt Geld zu verdienen.
  • Leben auf die Gruppe ausgerichtet: Viele passen ihr Leben an die Gruppe an und nicht an die Anforderungen des Arbeitsmarkts. Wer die Gruppe verlässt, hat oft Probleme, einen normalen Job zu finden oder sich allein um benötigtes Geld zu kümmern.
  • Konflikte durch Enge: Die starke Abhängigkeit von einer Gruppe führt oft zu Spannungen und Streit.

Eine GemÖk² sollte also Antworten in der Praxis auf diese Probleme finden, die bei der Vereinzelung von GemÖks auftreten. Die Vernetzung sollte also möglichst so strukturiert sein, dass sie den Wechsel zu einer anderen GemÖk oder Neugründung erleichtert, eine Vielfalt an Gemökformen entwickelt und zulässt, tauschlogikfreien Waren- und Dienstleistungsaustausch sowie Skillsharings zwischen den Gruppen ermöglicht, eine Erhöhung der politischen Relevanz und Wahrnehmbarkeit von GemÖks in der Gesellschaft befördert sowie die Freiräume jenseits des Arbeitsverwertungszwangs erweitert. Zudem lässt sich aus hierarchiekritischer Perspektive noch hinzufügen, dass die Selbstbestimmung der einzelnen GemÖks dennoch erhalten bleiben sollte, um sich nicht von einer großen Organisation abhängig und folglich individuell handlungsunfähiger zu machen. Eine Zentralisierung (insbesondere der Entscheidungsmacht) muss also vermieden werden – auch um am Ende nicht aus Versehen einen neuen Staat geschaffen zu haben.

In den Treffen wurde außerdem darauf verzichtet, eine komplett umsetzbare Struktur auszugestalten, da die Bedürfnisse und Situationen der beteiligten GemÖks sehr unterschiedlich sein werden. Daher sind hier einige Anregungen, um so eine GemÖk² anzustoßen:

  • Ein Zusammenschluss kann zeitlich begrenzt und verlängert werden, wenn es gut läuft, um Unsicherheiten und Ängste zu beachten
  • Regelmäßige Treffen möglichst vieler Mitglieder (zu Beginn häufiger, später eventuell auch einmal pro Jahr) erfüllen den Sinn, einen Vertrauensverlust durch zu große Anonymität zu verhindern und bei Bedarf in Kleingruppen vordiskutierte Veränderungen zu entscheiden.
  • Experimente zu machen und das Ganze auch als veränderbar zu sehen, kann beim Zusammenwachsen helfen. Reinspüren, wie sich Prozesse anfühlen und funktionieren ist sinnvoller, als alles zu sehr zu zerdenken und gar nicht erst mit dem Versuchen anzufangen.

Die Einigung auf ein niedrigschwelliges Einstiegsmodell könnte den Start erleichtern.

  • Beispiel 1 – Gleiches Grundeinkommen für alle:
    Alle GemÖks zahlen ihr gesamtes Einkommen auf ein reales (z.B. Vereinskonto) oder fiktives (z.B. Excel-Tabelle oder anderes Buchhaltungstool) Konto ein. Jede Gruppe bekommt davon erstmal die gleiche Menge Geld pro Person. Dadurch kann jede Person schauen (z.B. nach 1 Monat), ob dann jeweils genug da ist. Wenn das nicht reicht, weil z.B. Gesundheitskosten von manchen Personen deutlich höher sind und wenig über bleibt, während andere Gruppen deutlich mehr Geld über haben, dann passt ihr es zukünftig bedarfsorientierter an und kommt so in ein weiteres Abwägen und Abschätzen, wer wie viel braucht.
  • Beispiel 2 – Bedarfsorientiertes Grundauskommen:
    Alle GemÖks zahlen auf ein reales oder fiktives Konto ein. Jede Gruppe nimmt sich davon erstmal nur, was zur Deckung der Alltagskosten nötig ist (z.B. indem jede Gruppe dafür einen Bedarf pro Monat ermittelt hat, der dann monatlich auf den jeweiligen GemÖk-Konten bleibt oder überwiesen wird). Einmalige größere Ausgaben werden dann einzeln über einen Messenger oder ähnliches gesammelt besprochen oder einfach transparent angekündigt. Zudem kann versucht werden Geldausgaben unnötig zu machen (z.B. weil eine Person einer GemÖk die Fähigkeiten und Ressourcen hat, die in einer anderen Gruppe gebraucht werden und so nicht erkauft werden müssen).
  • Beispiel 3 – Zusammenwachsen durch wachsenden prozentualen Anteil:
    Alle GemÖks zahlen erstmal nur einen prozentualen Anteil ihres Einkommens auf ein Konto, auf dass alle Zugriff haben. Insbesondere GemÖks, die im Schnitt eher im Minus sind, können sich, wie prinzipiell auch alle anderen, aus dem gemeinsamen Konto das Geld nehmen, was sie zusätzlich brauchen. Der Prozentsatz wird dann über die Zeit gesteigert, bis alles komplett zusammenfließt und bedarfsorientiert geregelt wird.

Ein praktisches Beispiel für eine GemÖk² aus den letzten Jahren ist das Solidarnetz, das eine Plattform für solidarische Vernetzung und Kooperation von (Anzahl der Gruppen und beteiligten Menschen rausfinden und wie lang das genau existierte) GemÖks war.2 Das Selbstverständnis dieses Netzwerks wurde auf der Website solidarnetz.org folgendermaßen beschrieben:

Wir sind Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen, die sich bereits in solidarischen Bezugsgruppen organisieren oder auf dem Weg dorthin sind. Um das Konzept der solidarischen Bezugsgruppen zu verbreiten, unsere Gruppen gegenseitig zu unterstützen und uns allen langfristige Sicherheit zu bieten, haben wir uns zu einem regelmäßigen Austausch zusammengeschlossen.

Wir leben überall in der BRD verteilt in unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche von uns machen Vollzeit-Aktivismus, andere studieren, machen eine Ausbildung oder lohnarbeiten und die meisten von uns machen ein bisschen was von allem. Wir wohnen einzeln, in WGs, Baumhausdörfern oder Kommunen. Es gibt nicht DEN Lebensstil von solidarischen Bezugsgruppen – wir ermöglichen es uns allen, nach unseren Bedürfnissen und unseren Fähigkeiten zu leben, zu lernen und aktiv zu sein.

Wir treffen uns zweimal monatlich mit allen Interessierten aus den solidarischen Bezugsgruppen. In diesen Treffen arbeiten wir an einer gemeinsamen Werteebene des Netzwerks und daran, solidarische Bezugsgruppen für mehr Menschen zugänglich zu machen. Im Moment arbeiten wir daran, Bezugsgruppen-übergreifend finanzielle und andere materielle und immaterielle Ressourcen zu teilen.

Wir sind offen für alle Menschen, die bereits in solidarischen Bezugsgruppen organisiert sind oder es sein möchten. Die Arbeit des Netzwerks wird von uns allen geformt und vorangebracht.“

Das Solidarnetz und ähnliche Ansätze zeigen, wie vernetzte GemÖks nicht nur ihre individuelle Praxis stärken, sondern auch die Grundlage für eine neue gesellschaftliche Logik schaffen können. Diese Netzwerke sind mehr als die Summe ihrer Teile: Sie bauen idealerweise Hierarchien ab und stützen sich auf Kooperation statt auf Konkurrenz. So entstehen Keimformen einer dezentralen, solidarischen Gesellschaft. Dennoch beruhen die (zumindest hier vorgestellten) theoretischen und praktischen Ansätze auf einem eher geschlossenen Organisationsmodell, da bei GemÖk²-Netzwerken die jeweiligen Gruppen erst ein gegenseitig anerkanntes Mitglied des Netzwerks werden müssen, um tauschlogikfreien Zugang zu gemeinsamen Konten und kollektiv verwalteten Ressourcen zu haben. Für Fremde, anonyme Unbekannte bzw. Nicht-Mitglieder besteht dieser tauschlogikfreie Zugang nicht oder wenn dann eher nur eingeschränkt, nachdem sich die Mitglieder dazu entschieden haben, bestimmte Zugänge zu Ressourcen für Personen außerhalb des Netzwerks zu öffnen.

1 Hier sind nur die Treffen zwischen mehreren GemÖks gemeint, die in und um das Jahr 2012 in Deutschland stattfanden.

2 Die Website des Solidarnetz ist im März 2023 offline gegangen.