1.5 Wieso diese Welt mehr GemÖks braucht
Sind wir mal ehrlich: Irgendwas läuft in dieser Welt gehörig schief. Das hast du sicher schon mal gedacht und gefühlt. Und trotzdem, im Strudel des Alltags, den eigenen Themen und Problemen gelingt es uns manchmal, die eigentliche Situation, in der wir uns alle befinden, auszublenden. Bis die nächste schlechte Nachricht kommt, denn die Realität ist: der Faschismus nimmt weltweit rasant zu, die Folgen der Klimakrise zeigen sich immer deutlicher, ·queere· Personen werden angegriffen, Menschen sterben an Grenzen. Und diese Liste ist noch längst nicht vollständig.
Was genau die Wurzeln dieser Probleme sind und was es nun zu tun gilt, darüber gibt es so viele Meinungen wie Menschen auf der Welt. Eines ist aber klar und gilt für jeden Ansatz: Um eine neue Welt zu schaffen, brauchen wir Zeit. Die ist in unserer Gesellschaft sehr knapp, da wir, um zu überleben und den Erwartungen an uns zu entsprechen, die meiste Zeit in Arbeit und Konsum stecken.
Sollten wir in Anbetracht dieser Situation nicht etwas anderes tun, als dieses Gesellschaftskonzept mit unserer Energie und Arbeit weiter zu unterstützen (oder uns durch Bildung darauf vorzubereiten)?
Eine Gemeinsame Ökonomie ist nicht nur selbst schon eine kleine radikale Alternative zum aktuellen System. Sie setzt auch Energie frei, die wir aktuell noch in die alte Welt stecken. Und mit dieser Energie können wir dann mit mehr Luft zum Atmen, Freiheit und klarem Blick die Veränderung bewirken, die wir in der Welt sehen wollen.
Sie ist ein Fels in der Brandung, wenn uns der Normalwahnsinn mal wieder zu verschlingen versucht. Wenn die Nebenkosten steigen, dein Job dich depressiv macht oder du dich in der Gesellschaft verloren fühlst, ist sie da und übernimmt Verantwortung für das, was früher dein alleiniges Problem gewesen wäre. Gemeinsame Ökonomie ist Verbundenheit und Gemeinschaftlichkeit, ist Revolution in Zeitlupe, ist Halbinsel gegen den Strom.
Das Problem heißt Tauschlogik!
In der aktuellen Gesellschaft werden die meisten Bedürfnisse wie Essen, Wohnen, Kultur, Spiritualität und häufig sogar auch Liebe und Freund*innenschaft nach dem Prinzip der ·Tauschlogik· verhandelt.
Das bedeutet kurz gesagt: Zu jeder Leistung gehört eine Gegenleistung. Die Wohnung gibt’s nicht ohne Miete, das Konzert nicht ohne Ticket und den Abwasch mache ich nur, weil du ja vorhin gekocht hast. Ah, aber fürs Badputzen schulde ich dir ja noch etwas, dann könnte ich vielleicht noch saugen. Oder ich zahl es dir einfach aus?
Diese Logik, bei der wir zu allem einen angeblich »fairen« Tauschwert (meist in Form von Geld) errechnen, sorgt für allerlei Probleme. Allen voran: Sie geht an unseren Bedürfnissen vorbei. Anstatt uns zu fragen »Was brauche ich wirklich?« und »Was kann ich beitragen?«, treffen wir unsere Entscheidungen nach den Prinzipien »Kann ich mir das leisten?« und »Das habe ich mir verdient!«.
Sorgearbeit
Im ·Kapitalismus· legen Markt und Staat fest, welche Arbeit wie viel Wert ist, welche Waren produziert werden und was bzw. wer überhaupt eine Ware ist.
Dabei steht die Maximierung von Profit immer an erster Stelle. Arbeiten, die keinen oder nur wenig Profit generieren, wie grundlegende Sorgearbeiten, sind in dem System nur ein notwendiges Übel. Klar, irgendwer muss trotzdem kochen, putzen, sich mit Kindern beschäftigen oder emotionale Fürsorge leisten, also sich um grundlegende Bedürfnisse kümmern. Wertgeschätzt werden diese Tätigkeiten aber nicht und diejenigen, die sie ausführen, bekommen weniger oder gar kein Geld, um ihre eigenen Grundbedürfnisse zu erfüllen.
Ressourcenverschwendung
Eigentlich ist allen klar, dass wir nur das verbrauchen sollten, was wir wirklich brauchen, und dass z.B. Essen in den Magen und nicht in den Müll gehört. Im System der Tauschlogik wird dagegen selbst das, was schon produziert und übrig ist, nicht ohne Gegenleistung weggegeben. So schmeißen Supermärkte lieber tonnenweise essbare Lebensmittel weg, anstatt sie kostenlos zur Verfügung zu stellen. Umgekehrt haben diejenigen, die viel Geld besitzen, das Recht, begrenzte Ressourcen wie Energie, Wohnfläche und Rohstoffe verschwenderisch für sich zu beanspruchen. Das zerstört die Lebensgrundlagen von uns allen.
Beziehungen
Und zu guter Letzt: Das Tauschen verhindert authentische Begegnungen und echte Beziehung. Wie schön ist es, sich umeinander zu kümmern? Und wie viel Dankbarkeit und Freude erfahren wir, wenn jemand für uns da ist, einfach aus sich heraus? Die Tauschlogik vergiftet solche Situationen, indem sie aus etwas Unbezahlbarem (z.B. ein offenes Ohr in schweren Zeiten) einen Gefallen macht, den man dem Anderen nun schuldig ist.
Raus aus der Tauschlogik
Wie viel besser wäre diese Welt, würden wir als Kollektive darauf achten, dass für alle gesorgt ist? Wenn alle sich mit dem einbringen, was sie beitragen können und Verantwortung für das übernehmen, was notwendig ist? Genau das kannst du mit einer Gemeinsamen Ökonomie ausprobieren. Und dabei deine Werte und neue Selbstverständlichkeiten nicht nur besprechen, sondern tatsächlich leben.
Wir werden die Tauschlogik und ihren treuen Begleiter Geld nicht von heute auf morgen überwinden. Aber wir können jetzt damit anfangen, das Vorhandene solidarisch zu nutzen und aus dem individuellen Problem mit Geld und Tauschlogik wenigstens ein kollektives Problem zu machen, das uns verbindet statt uns zu trennen.
Lasst uns dem System frech die Zunge herausstrecken und sagen »Nö, ich bin jetzt nicht mehr alleine!« und aus meinem und deinem Geld unser Geld machen.
Vielleicht denkst du dir jetzt, dass das ja alles schön klingt, aber total unrealistisch ist. Oder dass du, um dich auf so etwas einzulassen, erst mal durchtherapiert und erleuchtet werden musst. Genau das ist glücklicherweise nicht der Fall.
Wir alle haben problematische Denkmuster und Umgangsweisen tief verinnerlicht. Eine Gemeinsame Ökonomie ist genau der Begegnungsraum, in dem wir sie verlernen und durch neue ersetzen können. Das »Experiment GemÖk« auszuprobieren und damit einen solchen Lernraum zu eröffnen, dazu laden wir dich im nächsten Teil ein.
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