Erfahrungsbericht – Meine GemÖk und Beziehungsanarchie
Q. von »Mochki« | 2019 gegründet | 3 Personen (seit 2023)
Unsere GemÖk ist durch eine der »klassischen« Vertrauensbrücken entstanden: Zuerst waren da Noé und Any. Die beiden waren gemeinsam reisen und hatten dabei angefangen, sich zu zweit ihr Geld zu teilen. Das ist ja vielleicht gar nicht so unüblich, wenn Menschen eine nahe Beziehung miteinander führen, die romantische und sexuelle Ebenen beinhaltet. Das Besondere: Noé und Any haben nicht mit der GemÖk aufgehört, als sich ihre Beziehung verändert hat und sie sich voneinander entfernten. Das ist gelebte Beziehungsanarchie. Eine solche Beziehung wird nicht anhand gesellschaftlich geprägter Regeln ausgerichtet, sondern immer wieder neu ausgehandelt und sich dabei gefragt: Welche Dinge möchte ich mit einer bestimmten Person teilen? Es gibt dann keine vorgefertigten Skripte, wie meine Beziehungen mit Freund*innen, Partner*innen, Liebhaber*innen oder auch Familie aussehen.
Das Vertrauen zwischen Noé und Any blieb, anstatt dass die beiden für immer getrennte Wege gehen. Die Berührungspunkte wurden weiter wertgeschätzt, auch das Teilen von Geld. Es gab eine Tabelle für die Organisation der gemeinsamen Finanzen und Gespräche, wie das Geldteilen weiterhin gut funktioniert. Und es geht, JUHU!!! …denn jetzt kam ich erst dazu! Zwischen Any und mir entwickelte sich ein enge Beziehung. Auch wir reisten und leben viel miteinander und das Geldteilen schlich sich als Thema ganz automatisch ein. Also beschlossen wir ganz offiziell eine GemÖk zu dritt zu starten.
Tatsächlich teilen viele Menschen um uns herum ihr Geld: In verschiedenen GemÖks oder z.B. in Hausprojekten mit Bietkonzepten, d.h. es werden freiwillige Beiträge hinzugegeben, um den Finanzbedarf zu decken, statt feste Mietpreise zahlen zu müssen. Außerdem gibt es vor Ort eine solidarische Lebensmittelkooperation und weitere Projekte, die sich auch nach außen offen solidarisch finanzieren, wie zum Beispiel ein Bahnhofscafé ohne feste Preise, also nur mit Spenden. Damit werden Ressourcen allen Menschen zugänglich gemacht. Solche Projekte werden auch Commons genannt. Diese Netzwerke geben uns ein bisschen Sicherheit, sodass wir erst mal ohne Lohnarbeit auskommen – auch für den Fall, dass staatliche Leistungen mal wegfallen sollten.
Obwohl ich und Noé uns zu Beginn quasi nicht kannten, hatten wir viel voneinander gehört und Vertrauen stellte sich schnell ein. Denn wir vermuteten und entdeckten viele gemeinsame Themen – auch durch eine Art Vertrauensvorschuss über Any. Also über die Person, der wir beide auf unterschiedliche Weise nahestehen. Diese vermittelnde Rolle wurde durch Zeit, die dann Noé und ich verbrachten, immer mehr aufgelöst. Einige wundert diese eher unübliche Beziehungskonstellation (denn in anderen Köpfen spuken noch klassische Labels wie »Ex-Partner*in« herum) – für mich fühlt es sich allerdings organisch gewachsen an. Es hat einiges an Absprachen und Austausch gebraucht, weil sich alle unterschiedlich wohl damit fühlen, ihr Geld zu teilen. Wichtig ist zum Beispiel, dass Any und ich nicht allein viel Austausch zur GemÖk haben, weil wir mehr gemeinsame Zeit miteinander verbringen. Denn Noé mag nicht vor vollendeten Tatsachen stehen, sondern am gemeinsam Austausch beteiligt sein.
Es gibt also mit der GemÖk als Praxis die Chance, dass wir Strukturen aufbrechen, die durch gesellschaftliche Hierarchien entstehen. Beispielsweise die Kleinfamilie oder Partner*innenschaft als Institution zum Teilen von Geld und der langfristigen Fürsorge. Dies ist ein Aspekt, der für uns auch aus queerer Perspektive wichtig ist. Außerdem machen Veränderungen in Beziehungen vielleicht ein bisschen weniger Angst, wenn wir nicht die Brüche erwarten, die wir gesellschaftlich eingebläut bekommen haben. So können wir in unsere Beziehungen vertrauen, selbst wenn wir uns verändern.
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