Ordnungswidrigkeiten im Versammlungsrecht
Man kann es nicht oft genug sagen und sollte jedes Skript zum Versammlungsrecht mit dieser Feststellung einleiten: „Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut, dass es zu schützen gilt.“ Es ermöglicht der Zivilgesellschaft in die Politik einzugreifen, zwar sehr begrenzt, aber Handlungsspielräume erweitert man nicht durch Schonung, sondern durch beständige Praxis.
Für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten aus dem Versammlungsrecht ist das VersG des Bundes einschlägig. Die Länder haben zwar die Hoheit über die Ausgestaltung des Versammlungsrechts, aber nicht über das Strafrecht. Es kann zwar sein, dass es landesspezifisch noch andere Regelungen gibt, aber das VersG des Bundes bietet in jedem Fall eine gute Übersicht zum Einstieg in die Thematik.
I. Bußgeldvorschriften des § 29 VersG (Bund)
I.1. Teilnahme an einer verbotenen Versammlung
Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn ein vollziehbares Verbot vorliegt. Hier ist also der Unterschied zwischen Verbot und Auflösung zu beachten. Das Verbot erfolgt durch die Versammlungsbehörde mit schriftlichem Bescheid vor Beginn der Versammlung. Hat das Verwaltungsgericht den Sofortvollzug aufgehoben (Eilverfahren), liegt kein „vollziehbares Verbot“ vor und § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG (Bund) greift nicht.
„Verbietet“ hingegen die Polizei vor Ort die Durchführung der Versammlung, liegt kein Verbot i.S.d. VersG vor, sondern eine Auflösung. Außerdem muss auch hier darauf geachtet werden, ob vor Ort eine Durchsage der Polizei erfolgte. § 15 Abs. 4 bestimmt, dass eine verbotene Versammlung aufgelöst werden muss. Es besteht Einigkeit darüber, dass diese Vorschrift vor allem die Teilnehmenden schützen soll. Der Staat darf nicht davon ausgehen, dass Alle von dem Verbot Kenntnis erhalten haben, also muss er alle Anwesenden von dem Verbot in Kenntnis setzen und ihnen ausreichend Zeit geben, sich zu entfernen. Erst danach ist die Teilnahme rechtswidrig.
I.2. Mitführen von aktiver oder passiver Bewaffnung oder Gegenständen für die Vermummung
Hier besteht vor allem das Problem, dass Gegenstände, die als Waffen oder Vermummung genutzt werden könnten, nicht klar definiert sind Das eröffnet Polizei und Justiz einen sehr weiten Ermessensspielraum.
§ 29 Abs. 1 Nr. 1.a. verweist auf § 17 a Abs. 2 VersG (Bund). Nummer 1 dieser Vorschrift stellt unter Strafe auf einer Versammlung in einer Aufmachung aufzutreten, die geeignet und darauf gerichtet sich, die Feststellung der Identität zu verhindern. Strafbar ist auch, den Weg zur Versammlung in dieser Aufmachung zurück zu legen.
§ 17 a Abs. 2 Nr. 2 stellt das Mitführen von Gegenständen unter Strafe, die geeignet und dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.
§ 29 Abs. 1 Nr. 1.a. ist einschlägig, wenn die Vermummungsgegenstände nicht angelegt oder offen mitgeführt werden. Wer also Gegenstände, die der Vermummung dienen könnten, im Rucksack bei sich trägt, handelt nach dieser Vorschrift ordnungswidrig. In der Verteidigung wäre besonderes Gewicht auf den Passus zu legen „die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind“. Hier kann damit argumentiert werden, dass unter den vorgefundenen Umständen nicht zu erwarten war, dass die Täter*in die Gegenstände zur Vermummung (also zum Zweck der Verschleierung der Identität) einsetzt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn bei kalter Witterung auf einer friedlichen verlaufenden Demonstration ein breiter Schal im Gepäck aufgefunden wurde.
I.3. Nichtentfernen aus einer aufgelösten Versammlung
Wird eine Versammlung aufgelöst, haben die Teilnehmer*innen die Pflicht, sich unverzüglich vom Versammlungsort zu entfernen. Was unverzüglich ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Je größer die Versammlung ist, umso mehr Zeit muss den Teilnehmer*innen gewährt werden, den Ort zu verlassen. Auch die örtlichen Gegebenheiten müssen berücksichtigt werden. Ist das Entfernen nur durch enge Gassen möglich, braucht dies mehr Zeit als bei breiten Straßen oder Parks.
Unverzüglich ist auch dann gegeben, wenn Teilnehmer*innen der Versammlung vor dem Entfernen etwaige Aufbauten oder Transparente entfernen. Solange Teilnehmer*innen sichtbar Tätigkeiten verrichten, die das Verlassen des Ortes sichtbar machen oder vorbereiten, besteht für den Vorwurf des Nichtentfernens kein Anlass, solange diese Tätigkeiten nicht mutwillig verzögert werden.
Die Versammlung muss in jedem Fall korrekt aufgelöst werden, also für alle Teilnehmenden akustisch und sprachlich verständlich. Hierzu kann auch die Weisung gehören, in welcher Richtung die Teilnehmenden sich zu entfernen haben. Widersprüche in den Ansagen gehen zu Lasten der Behörden. Darauf muss u.U. im Verfahren gepocht werden. Gleiches gilt, wenn in der Richtung, die von der Polizei angegeben wurde kein Entfernen möglich ist, zum Beispiel, weil dort abgesperrt ist.
I.4. Missachtung einer vollziehbaren Auflage
Ordnungswidrig handelt nach § 29 Abs. 1 Nr. 3, wer sich
- an einer Versammlung beteiligt
- gegen eine Auflage verstößt, die sie oder ihn als Teilnehmende betrifft und
- vorsätzlich handelt, also in Kenntnis der Auflage.
Zu 1: Ordnungswidrig handeln nur Teilnehmer*innen der Versammlung. Die Vorschrift betrifft also nur das Verhalten ab Ankunft auf der Versammlung bzw. ab dem offiziellen Beginn, nicht aber während des Weges zur Versammlung oder von der Versammlung weg.
Zu 2: Auflagen, die nur den Veranstalter oder die Leiter*innen trifft (z.B. bezüglich bestimmter Aufbauten), sind von dieser Vorschrift nicht erfasst. Auflagen, die strafbare Handlungen untersagen, sind von dieser Vorschrift ebenfalls nicht betroffen. Hier sehen die Versammlungsgesetze in der Regel eigene Strafvorschriften vor.
I.5. Störung des Ablauf der Versammlung
Mit dieser Vorschrift ist nicht die Situation gemeint, wenn ihr z.B. eine Nazi-Demo blockiert. Es geht um die Störung des Ablaufs der Versammlung von innen heraus:
- Jemand stürmt die Bühne und hält eine nicht vorgesehene Rede
- Es werden Fahnen oder Transparente gezeigt, die der Veranstalter dort nicht haben will
- Jemand bequatscht Teilnehmende eine andere Route einzuschlagen.
Die Täter*innen müssen „wiederholt“ durch Ordner*innen oder Versammlungsleiter*innen zum Unterlassen aufgefordert worden sein. Im Prozess wird das Ergebnis davon abhängen, ob die Versammlungsleitung das Handeln der Beschuldigten als Störung bezeichnet oder nicht.
I.6. Nichtentfernen nach Ausschluss von der Versammlung
Grundlage hierfür sind die §§ 11 Abs. 2, 18 Abs. 2 und 19 Abs. 2 VersG. Nach § 11 Abs. 1 kann die Versammlungsleitung Teilnehmende von der Versammlung ausschließen, welche die Ordnung gröblich stören. Eine solche ist noch nicht die Äußerung abweichender Meinungen. Wenn sich aber jemand sich derart des Mikrophons bemächtigt, dass der geplante Ablauf aus dem Fugen gerät, ist dies eine grobe Störung. Gleiches gilt für laute Sprechchöre oder Pfeifkonzerte, die die Redner*innen übertönen. Nach § 11 Abs. 2 müssen Ausgeschlossene die Versammlung sofort verlassen.
Nach § 18 Abs. 3 kann die Polizei Teilnehmende von der Versammlung ausschließen, wenn diese die Ordnung gröblich stören. Die Kommentierung begründet diese Vorschrift damit, dass ansonsten gegen den Störer kein Platzverweis erteilt werden könne. Der Teilnehmende, der von der Versammlungsleitung ausgeschlossen wurde, sich aber nicht entfernt, müsse daher auch durch die Polizei per hoheitlichem Akt ausgeschlossen werden können, um die Ausschließung durchzusetzen.
§ 19 ist eine Sondervorschrift für Aufzüge (Demonstrationen). Auch hier kann gem. Abs. 4 die Polizei Teilnehmende von der Versammlung ausschließen, wenn sie die Ordnung gröblich stören. Ein Bußgeld ist nur danach gerechtfertigt, wenn die Betroffenen entsprechend der o.g. Vorschriften von der Versammlung ausgeschlossen wurde. Der Ausschluss von der Versammlung muss auch inhaltlich rechtmäßig gewesen sein, d.h. die Störung der Ordnung der Versammlung muss vorgelegen haben.
Für die Verteidigung in solchen Fällen ist zu empfehlen, genau zu klären, welche der drei o.g. Vorschriften die Grundlage für den Ausschluss war, um dann zu prüfen, ob der Ausschluss formell korrekt und materiell gerechtfertigt erfolgte.
I.7. Zahl der Ordner nicht an Polizei mitteilt
§ 9 VersG regelt, dass die Versammlungsleitung sich der Hilfe von Ordnern bedienen kann. Diese dürfen keine Waffen tragen, müssen volljährig sein und weiße Armbinden mit schwarzer Aufschrift „Ordner“ tragen. Absatz 2 sieht vor, dass die Versammlungsleitung der Polizei auf Anforderung die Zahl der Ordner mitteilen muss. Die Polizei kann die Zahl der Ordner beschränken. In der Praxis ist aber eher das Gegenteil der Fall, nämlich, dass Polizei und Versammlungsbehörde mehr Ordner verlangen, als es die Versammlungsleitung für erforderlich hält. Meist wird die Anzahl der Ordner auch im versammlungsrechtlichen Bescheid festgelegt.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 handelt die Versammlungsleitung ordnungswidrig, wenn sie sich weigert, die Zahl der eingesetzten Ordner zu nennen oder eine falsche Zahl angibt. Zu beachten ist, die Zahl der Ordner nur auf Aufforderung der Polizei mitgeteilt werden muss. Ordnungswidrig macht sich ausschließlich die Versammlungsleitung, nicht aber die Teilnehmenden.
I.8. Zu viele oder falsch gekennzeichnete Ordner
Die Versammlungsleitung kann sich nach § 9 Abs. 1 der Hilfe von Ordnern bedienen. Diese müssen weiße Armbinden mit der schwarzen Aufschrift „Ordner“ tragen (§ 9 Abs. 1 Satz 2). Nach Absatz 2 ist die Versammlungsleitung verpflichtet, die Zahl Ordner der Polizei mitzuteilen. Die Polizei kann „die Zahl der Ordner angemessen beschränken“. § 18 Abs. 2 wiederum bestimmt, dass die Verwendung von Ordnern einer polizeilichen Genehmigung bedarf und bei der Anmeldung zu beantragen ist. Hier liegt im Gesetzestext also eine teils widersprüchliche Doppelung vor.
Abgesehen davon ist die Regelung teils praxisfern. Aus meiner langjährigen Kenntnis sind mir lediglich Ausnahmefälle bekannt, in denen die Polizei die Zahl der Ordner „beschränkt“ hat. Die Regel ist, dass die Polizei erheblich mehr Ordner verlangt, als Veranstalter*innen und Leiter*innen bestellen wollen. Der „Job“ des Ordners ist in der Regel wenig beliebt, und wir vertrauen stärker unseren Teilnerhmer*innen als dies die Polizei tut. Nach dem Wortlaut der Bußgeldvorschrift (§ 29 Abs. 1 Nr. 7) kann nur geahndet werden, wenn mehr Ordner bestellt sind als die Polizei erlaubt, nicht aber, wenn zu wenige oder keine Ordner bestellt sind. Aus der Praxis sind mir bisher keine Anwendungsfälle bekannt.
I.9. als Versammlungsleiter der Polizei die Anwesenheit verweigert
§ 29 Abs. 1 Nr. 8 ist aus meiner Sicht für uns irrelevant. § 12 VersG verpflichtet die Polizei, sich bei öffentlichen Versammlungen als Polizei erkennbar zu geben, und verpflichtet die Versammlungsleitung der Polizei auf Anforderung einen angemessenen Platz zuzuweisen. Dies gilt aber nur für Versammlungen in geschlossenen Räumen.
§ 19 Abs. 1, in dem es um „Aufzüge“, also Demonstrationen und andere bewegliche Versammlungen geht, enthält keinen Passus, der dazu verpflichtet der Polizei einen angemessenen Platz zu gewähren. Das wäre bei einer Demo auch kaum sinnvoll machbar.
II. Bußgeldvorschrift des § 29a VersG (Bund)
Danach handelt Ordnungswidrig, wer an einer Versammlung innerhalb eines Bannkreises teilnimmt oder dazu aufruft. Bannkreise bestehen rund um Parlamente oder andere Verfassungsorgane (z.B. BVerfG). Die Regelungen zu den Bannmeilen sind sehr unterschiedlich. Um das BVerfG herum besteht die Bannmeile immer. Um den Bundestag herum kann innerhalb der Bannmeile demonstriert werden, wenn kein Sitzungstag ist.
Bei der Anmeldung ist zu beachten, dass die Versammlung nicht nur bei der Versammlungsbehörde angemeldet werden muss, sondern auch eine Genehmigung beim Bundestagspräsidium beantragt werden muss. Die Länder haben die Bannmeilen um ihre Länderparlamente unterschiedlich geregelt. Ihr müsst dazu nach dem Bannmeilengesetz des Landes nachschauen, evtl. auch im jeweiligen Landesversammlungsgesetz. Da für die Versammlung innerhalb der Bannmeile eine Genehmigung des jeweiligen Verfassungsorgans notwendig ist, gibt es in der Regel Probleme bei Spontanversammlungen; sowieso wenn diese während eines Sitzungstages stattfindet.
III. Strafrahmen
Bußgeld bis zu 1.000 DM (so steht das im Gesetz) kann für Verstöße nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VersG verhängt werden. Bis zu 5.000 DM kann für Verstöße nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 bis 8 verhängt werden. Bei einem Verstoß gegen § 29a kann ein Bußgeld von bis zu 30.000 DM verhängt werden.
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