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8. Plädoyer - Beispiel

(aus Bremen von Roman, ohne Ausführungen zum Rechtfertigenden Notstand) 

In Bremen gilt das Versammlungsrecht des Bundes. Punkte, die in verschiedenen Gesetzen verschieden sind, sind fett gedruckt. Verschieden ist nur die zuständige Behörde (Kapitel 9) und welcher Paragraph die Auflösung regelt (Berlin §14). Verjährung war leider in dem Verfahren nicht relevant. 

 

Plädoyer:

Die Akte ist bei weitem nicht vollständig genug, um die Vorwürfe gegen den Beschuldigten zu begründen. Dies fängt bereits damit an, dass es in der Akte keine Fotos gibt, die überhaupt erstmal die Anwesenheit des Beschuldigten belegen.

Die nach §15 I VersammlG ergangenen Beschränkungen werfen auch mehrere Fragen auf. So gibt es in der Akte keine Hinweise darauf, worin die unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gelegen hat. Daher können wir auch nicht feststellen, ob die Beschränkung verhältnismäßig (geeignet, erforderlich und angemessen) war. Insbesondere können wir nicht nachvollziehen, warum eine einschneidende Maßnahme, wie die Beschränkung der Versammlung auf einen Fahrstreifen, nicht ausgereicht hätte.

Es findet sich in der Akte keine Angabe, wer die Beschränkung entschieden und verkündet hat. Daher können wir nicht überprüfen, ob der Mensch der zuständigen Behörde angehört hat (in Bremen Ortspolizeibehörde). Ebenso fehlt der Wortlaut der Beschränkung, sodass nicht überprüft werden kann, ob die Beschränkung begründet wurde. 

Außerdem gibt es keine Information, dass die nach §28 I VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz) notwendige Anhörung erfolgt ist. Informationen über ein Kooperationsgespräch sind genau so wenig ersichtlich. Anhaltspunkte für eine mögliche Gefahr im Verzug, welche die Anhörung entbehrlich gemacht hätte, sind ebenso nicht ersichtlich.

Die Auflösung nach §15 III VersammlG wirft auch einige Fragen auf. Auch hier gibt es keine Hinweise auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, welche der Auflösung zugrunde liegen müsste. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ist ebenso wenig ersichtlich, wie eine besondere Lage, die eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausreichen lassen könnte (§15 Rn. 49 Versammlungsrecht Düring-Friedl, Enders).

Ebenso wenig liegt uns der Wortlaut der Auflösung vor, daher kann nicht bewiesen werden, dass die Auflösung begründet wurde, wie es notwendig gewesen wäre (§15 Rn. 153 Versammlungsrecht Düring-Friedl, Enders).

Die Auflösung erfolgte laut der Akte von der Polizeiführer*in, allerdings ist hier weder der Name noch die Polizeibehörde angegeben, bei der der Mensch arbeitete. Daher kann nicht überprüft werden, ob der Mensch der zuständigen Ortspolizeibehörde und damit der zuständigen Behörde angehört oder ob er einer anderen Stelle zugeordnet ist.

Mangels Angaben in der Akte lässt sich die Verhältnismäßigkeit der Auflösung nicht feststellen, insbesondere sind keine Hinweise in der Akte enthalten, dass sie Gefahr für die Öffentliche Sicherheit so gravierend war, dass die Auflösung der Versammlung angemessen war. Außerdem ist unklar, ob die Polizei dem Kooperationsgebot nachgekommen ist. Es gibt in der Akte keine Indizien dafür, dass ein Kooperationsgespräch oder Ähnliches stattgefunden hat. Eine erfolgreiche Kooperation ist immer das mildere Mittel gegenüber Beschränkungen, Verboten und Auflösungen. Daher ist die fehlende Bereitschaft der Polizei zur Kooperation ein Indiz für die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme (§14 Rn.33 Versammlungsrecht Düring-Friedl, Enders).

Nach der Auflösung der Versammlung muss eine angemessene Überlegungszeit den ehemaligen Versammlungsteilnehmer*innen eingeräumt werden (§29 Rn.4 Versammlungsrecht Düring-Friedl, Enders) und den ehemaligen Teilnehmer*innen muss Zeit eingeräumt werden, damit sie ihre Banner etc. einräumen können. Dafür, dass dies gewährt wurde, gibt es keine Indizien in der Akte.

Ebenso wie die Anwesenheit der Beschuldigten überhaupt, ist die Anwesenheit der Beschuldigten nach der Auflösung nicht belegt.

Dafür, dass die Auflösungsdurchsage von der Beschuldigten gehört werden konnte, gibt es ebenfalls keinen Anhaltspunkt. Daher kann nicht belegt werden, dass die Beschuldigte vorsätzlich gehandelt hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, es ist unklar, ob die beschuldigte Person überhaupt anwesend war und falls der Mensch anwesend war, ob der Mensch die Durchsagen wahrnehmen konnte. Die Rechtmäßigkeit der Auflösung wirft sehr viele Fragen auf. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung ist Voraussetzung für die Sanktionierung und kann hier nicht festgestellt werden. Daher kann keine Sanktion getroffen werden. Die beschuldigte Person ist freizusprechen.