Ergänzungen & Learnings
Zum Abschluss habe ich die Menschen, die ich gesprochen habe, auch nach ihren Learnings in Bezug auf Awareness-Strukturen gefragt. Zu den generellen Learnings, die noch nicht angesprochen wurden, gehört, dass es bei Awareness-Arbeit immer gut ist, mit weiteren Awareness-Strukturen vernetzt zu sein und rechtzeitig Hilfe von außen dazuzuholen.
In Lü gab es Verbindungen zu Awareness-Kollektiven, Leuten, die Mediation machen, den Psychologists for Future und auch einer Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt. Das Ausmaß nötiger Fallarbeit wird oft unterschätzt. Wichtig ist auch, sich frühzeitig mit Räumungs-Awareness und Out of Action auseinanderzusetzen. Bedürfniskonflikte können immer wieder neu aufbrechen, wenn sie nicht grundlegend bearbeitet und für alle tragbare Lösungen gefunden werden. Allgemein hilft es, Konflikte und Belastungen frühzeitig zu besprechen und viel Bildungs- und Präventionsarbeit zu machen, sowie immer wieder neu zu fragen, wie es um die kollektive Verantwortung steht und wie diese gestärkt werden kann. Denn für eine Veranstaltung lässt sich Awareness vielleicht weitreichender auf ein spezifisches Team auslagern. Für eine Gemeinschaft, ein Zusammenleben kann jedoch die Verantwortung nicht so stark externalisiert werden, ohne ungute Dynamiken zu schaffen.
Sowohl Selbstreflexion als auch ein Spiegeln von außen, beispielsweise in einer Supervision, sind sehr wichtig, auch um Veränderung anstoßen zu können, bevor eine Struktur völlig in die Krise gerät. Denn dysfunktionale Strukturen erhalten sich unter Umständen dadurch, dass Veränderung als Zusatzarbeit betrachtet wird und innerhalb der vorhandenen Kapazitäten nicht mehr leistbar ist.
Wer andere unterstützt, muss auch selbst Unterstützung bekommen. Noch dazu, da es oft so ist, dass Menschen, die tendenziell häufiger Awareness-Aufgaben übernehmen, selbst von Diskriminierungsformen betroffen sind und/oder nicht unbedingt gelernt haben, Grenzen zu setzen und/oder sich schwer damit tun, ihre eigene Arbeit und Können wertzuschätzen – umso mehr, als sich die mangelnde Anerkennung von Care-Arbeit in der Gesellschaft allzu oft auch in Besetzungen wiederspiegelt.
Menschen, die Awareness-Aufgaben übernehmen, befinden sich gleichzeitig selbst noch auf dem Weg, Elemente problematischer eigener Sozialisierung zu reflektieren und sie reproduzieren daher auch immer noch Elemente problematischer Verhaltensweisen weiter. Es ist eine Balance-Aufgabe, die eigene Weiterbildung und die alltäglich notwendige Awareness-Arbeit zeitlich zu vereinbaren. Und auch, Awareness-Arbeit für neue Menschen offen zu halten, die diesen Weg vielleicht noch nicht so weit gegangen sind, und gleichzeitig einen möglichst diskriminierungsfreien (*-sensiblen) Raum halten zu können für Gespräche mit Betroffenen und für die Fallarbeit insgesamt.
In Check-In Gruppen und ähnlichen Strukturen gilt es, insbesondere die richtige Mischung und Balance zwischen neuen und langfristigen Menschen immer wieder neu bewusst zu finden. Das gilt auch für eine Besetzung als Ganze: Die Herausforderung für langzeit Bewohnis ist es, sich auch immer wieder auch für Gespräche und Begegnungen mit neuen Menschen zu öffnen, sowie Wissen und Ressourcen zu teilen. Die Herausforderung für neue oder kurzfristige Bewohnis ist es, sich auch selbstständig zusammenzutun und den langzeit-Bewohnis, die tendenziell mit der Zeit immer mehr Verantwortung übernehmen, konkrete Verantwortungsbereiche abzunehmen.
Awareness ist Teil unserer Utopie eines anderen Zusammenlebens. Gleichzeitig klaffen Anspruch und Wirklichkeit trotz aller Mühe weiterhin auseinander. Gute Strukturen für Awareness müssen in jedem Kontext wieder neu gefunden werden. Hierfür gibt dieser Text Erfahrungen aus dem Lü-Kontext weiter. Danke an alle, die mir von ihren Erfahrungen erzählt und diesen Text möglich gemacht haben!
Es gibt mit Sicherheit noch viele weitere wichtige Aspekte und Perspektiven, die in dieser Geschichte der Awareness-Strukturen von Lü noch nicht vorkommen. Wenn dir/euch da etwas einfällt, schreibe(t) gerne an diese Mailadresse, damit das Teil der überarbeiteten und ergänzten Version dieses Textes werden kann: awarenessgeschichte@systemli.org
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