Riot Control Agents
Auszug aus dem Factsheet Pfefferspray des Autonomen Sanitätskollektivs Göttingen
Riot Control Agents (RCA) ist ein Überbegriff für folgende vier bzw. fünf chemical irritants, die als "non-lethal weapons" charakterisiert und zur Ausübung von unmittelbaren Zwang gegen Einzelpersonen oder Gruppen eingesetzt werden: Pfefferspray/OC, CN, CS/"Tränengas", DM/Adamsite und CR. Sie entfalten ihre Wirkung durch eine schmerzhafte Reizung der Schleimhäute und Haut. RCAs werden von der EU zusammen mit Elektro- und anderen Waffen unter dem Begriff "Crowd Control Weapon" subsumiert.
Weltweit das verbreiteste RCA ist CS, welches CN abgelöst hat. Laut STOA sind CN und CS die in Europa am wahrscheinlichsten anzutreffenden RCAs, während die Verbreitung von OC zunähme und CR den Spezialeinheiten vorbehalten werde. Seit Anfang der 1920er Jahre wird an Capsaicin - dem Wirkstoff im Pfefferspray - als Waffe geforscht und seit Ende der 1970er Jahre wurde es zunächst in den USA und später auch in Europa eingeführt. In Deutschland hat die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 1999 die Einführung von Pfefferspray empfohlen. Inzwischen scheint in der BRD nur noch Pfefferspray eingesetzt zu werden, zumindest legen Beobachtungen, die gültigen Technischen Richtlinien sowie Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages in denen ausschließlich OC besprochen wird, dies nahe. Mit Sicherheit ist es nicht zu sagen: Auf die Frage nach den vorgehaltenen RCAs für den 2001 veröffentlicheten STOA Report der EU antwortete die Bundesregierung "according to the German Authorities, the detailed information in the form requested is not held centrally and could only be obtained at disproportionate cost."
Pfefferspray/OC
Den asführlichen Artikel findest du hier.
Pfefferspray, z.T. auch nach der Wirkstoffmixtur Oleoresin capsicum OC benannt, ist ein Extrakt aus den getrockneten reifen Früchten des Chillipflanzen Capsicum annuum oder Capsicum frutescenes. Es wurden über 100 Inhaltsstoffe identifiziert, wobei Capsaicin (8-methyl-6-trans-nonenoyl-vanillylamide) das für die Wirkung von OC entscheidende ist, aber auch andere Inhaltsstoffe wie Phenole, Säure oder Ester reizend wirken. Capsaicin ist ein geruchloser, trockener Stoff, der sich gut in organischen und chloriden Lösungen und nur mäßig in Wasser lösen lässt. Trotz der eingeschränkten Wasserlöslichkeit kann OC dem Wasser von Wasserwerfern beigemsicht und so versprüht werden. Synthetisch hergestellt wird Capsaicin häufig als PAVA (Pelargonsäure-vanillylamid) bezeichnet.
CN
Chloroacetophenone, wurde kurz nach dem ersten Weltkrieg als RCA entwickelt und löste DM als Mittel der Wahl ab bevor es durch CS ersetzt wurde. Es gibt/gab verschiedene Varianten wie z. B. CNB, CNC, CNS. CN ist ein kurzlebiger kristalliner Feststoff der zur Lagerung und zu seinem Einsatz in Flüssigkeit gelöst wird. Sein Dampf ist ein vielfaches schwerer als Luft. Riecht nach Apfelblüte.
CS/"Tränengas"
Den ausführlichen Artikel findest du hier.
Kurzform für Chlorobenzylidene malonitrile benannt nach seinen Entdeckern B.B. Corson und R.W. Stoughton, die den Stoff in den späten 1920er Jahren synthetisierten. Als RCA wird es seit den 1950er Jahren weltweit eingesetzt. In Reinform ist CS ein weißes kristallines Pulver. Als RCA wird es entweder wie Pfefferspray in Lösung gebracht, aus Reigassprühgeräten versprüht oder unter den Bezeichnungen CS-1 und CS-2 als Pulver mit speziellen Granaten (z.B. ISPRA® 404D) verteilt. CS Gas riecht pfefferartig und der Nebel ist ein vielfaches schwerer als Luft. Chemisch ist CS sehr lanlebig und wird von den allermeisten porösen Oberflächen adsorbiert.
DM/Adamsite
Synonyme Bezeichnung für Adamsite oder Diphenylaminochloroarsine. Bis zum Ersatz durch CN als RCA und als Pestizid eingesetzter, gelblicher, geruchsloser bzw nach Bitter- mandel riechender, chemisch sehr stabiler Feststoff. Wenn er hydrolysiert wird, kommt es zu Übelkeit verursachenden Nebenprodukten weshalb der Einsatz gegen Zivilbevölkerung verboten wurde.
CR
Dibenz[b,f]1:4-oxazepine, ein blass-gelblicher, in organischen Lösungen, stabiler Feststoff der sehr lange in der Umwelt persistiert. Sein Dampf ist ein vielfaches schwerer als Luft. Geruchslos. Als RCA z. Zt. vermutlich nur bei ausgewählten Spezialeinheiten im Einsatz.
Therapie
Eine kurze Übersicht zum richtigen Verhalten bei Kontakt mit Pfefferspray findest du hier.
Die wichtigste Maßnahme nach dem Kontakt mit RCAs ist die Dekontamination, d. h. das RCA von betroffenen Körperstellen inklusiveder beaufschlagten Bekleidung zu entfernen. Eine spezifische Therapie gibt es nicht. Ziel ist es Symptome zu lindern und einer Verschlechterung der Situation (Panik, Atembeschwerden, Unterkühlung) vorzubeugen. In den aller meisten Fällen ist die Wirkung selbstlimitierend und nach 30-90 Minuten abgeklungen.
Die schmerzhafte Reizung und der Orientierungsverlust können zu Panik führen, weshalb eine gute Betreuung Betroffener mit die beste Hilfe ist. Wäremerhalt und sich-um-einander-kümmern sind geboten.
Es kursieren verschiedenen Anleitungen dazu, wie mit feuchten Tüchern, Baby-/Pflegetüchern, Pflanzenölen, Maaloxan-Lösungen etc. Pfefferspray entfernt werden könnte. Diese stützen sich auf mechanistische Grundannahmen, dass OC als fettlösliche Substanz schwer mit Wasser abgespült werden könnte und man das OC mit öligen Tüchern entfernen und anschließend die Haut wieder von dem Öl, welches OC Reste lösen und so stärker und länger auf der Haut wirken könnte, zu befreien. Zu dem Einsatz von Maaloxan siehe unten. Grundsätzlich ist (kaltes) Wasser zur Dekontamination geeignet und empfohlen. Alle anderen Maßnahmen (Maaloxan-Lösung, Milch, lokalanästhetische Maßnahmen (Lidocain), Shampoo) hatten laut einer im Journal Prehospital Emergency Care veröffentlichten klinischen Studie, an der 50 Freiwillige teilgenommen hatten, keine signifikanten Vorteile. Durch die entzündliche Reaktion, die das Capsaicin in der Haut auslöst, kann es zu einer sog. Hyperalgesie kommen, d.h. das eigentlich nicht schmerzhafte Reize wie eine Berührung als schmerzhaft empfunden werden. Bekannt ist dieses Phänomen z.B. bei Sonnenbrand. Das könnte erklären warum in der in Prehospital Emergency Care veröffentlichten Studie einige Freiwillige die beste Schmerzreduktion bechrieben als keine Versuche unternommen wurden das OC abzuwischen oder -reiben. Eine zehn Jahre später, 2018, durchgeführten Untersuchung an 58 Teilnehmern, ob Babyshampoo hilfreich sei, bestätigte die vorbeschriebenen Befunde: "Irrigation with water and baby shampoo provides no better relief from OC- or CS-induced discomfort than irrigation with water alone."
Angesichts dieser Ergebnisse und der tendenziell selbstlimitierenden Wirkung von OC sind Dekontaminationsversuche mit anderen Substanzen als Wasser nicht zu empfehlen. Insbesondere in der Rolle als professionell Helfender nicht.
Zur Augenspülung sollten, wenn vorhanden, spezielle Augenspülflaschen eingesetzt werden. Ansonsten sind auch andere Behältnisse geeignet (z.B. Fahrradflaschen oder PET Flaschen mit sog. Sportverschluss). Die Augenspülung sollte bis zur Symptomlinderung und ohne Druck erfolgen. Die Augenlider müssen aufgehalten werden (Cave: Blepherospasmus (Lidkrampf)). Kontaktlinsen sollten entfernt werden. Die Augen sind extrem berührungsempfindlich. Alle Maßnahmen müssen gut und vernehmbar kommuniziert werden! Sofern keine Augenspülflasche eingesetzt wird, wird von der Nase zum äußeren Augenwinkel gespült. Zur Augenspülung sollte wenn möglich Wasser eingesetzt werden. Gepufferte Lösungen oder Kochsalzlösungen wie sie z.T. als Augenspülungen angeboten werden sind nicht notwendig. In einer methodisch schwachen Arbeit wurde ein lindernder aber auch präventiv wirkender Effekt von Diphoterine®, einer kommerziell vertriebenen amphoteren, chelatorhaltigen Lösung zur Behandlung von Verätzungen nach bzw. vor dem Einsatz von CS Gas konstatiert. In einem sog. Letter to the editor kommentieren Luka et al den Artikel im selben Journal: "Because the symptoms of CS exposure always resolve spontaneously, the role of Diphoterine® is unclear at best, and potentially worse than either water or no treatment at all." Eine zehn Jahre später, 2015, erschienene Arbeit mit acht Probanden zeigte einen ähnlich positiven Effekt wie die kritisierte Arbeit, wies aber die gleichen methodischen Mängel auf.
Medikamentös können bei asthmatischen Beschwerden β2-Sympathomimetika wie Salbutamol eingesetzt werden (Cave: Herzfrequenzanstieg). Kontaktdermatitis, d.h. allergisch-entzündliche Reaktionen der Haut können mit Cortison und Juckreiz mit H1-Rezeptorantagonisten behandelt werden.
Bei ausgeprägteren Symptomen ist eine ärztliche Vorstellung und ggf. Überwachung notwendig!
Exkurs: Malaxon
Maaloxan® (Magnesiumhydroxid/Aluminiumoxid) ist ein Antazidum, d.h. es hebt den pH-Wert des Magens, um Sodbrennen zu bekämpfen (keine leitliniengerechte Empfehlung). Die Theorie hinter dem Spülen mit einer wässrigen Maalox-Lösung (vorgeschlagen wird z.B. 1:1) besagt, dass durch die chemische Veränderung (Säure-Base-Reaktion) das Capsaicin-Molekül von einem lipophilen (fettlöslichen) in einen hydrophilen (wasserlöslichen) Zustand übergeht. Dadurch solle es schlechter in die Haut ziehen bzw. besser durch Wasser abzuwaschen sein. Ob diese Reaktion wirklich stattfindet, ist aber absolut unklar und hätte auch nur dann Wirkung, wenn es direkt nach der Exposition angewendet wird, also bevor das Capsaicin in die Haut eingezogen ist.
In einer im Academic Emergency Medical Journal veröffentlichten Studie mit zehn Proband*innen wurde innerhalb der ersten 30 Minuten ein lindernder Effekt von MgAl festgestellt. Jenseits der 30 Minuten Marke konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Die bereits oben zitierte Studie aus dem Prehospital Emergency Care mit einer fünf mal so großen Probandengruppe konnte keine Effekte nachweisen. In einer Broschüre des Anarcho Black Cross wird spekuliert, ob die positive Wirkung nicht Menthol zugeschrieben werden muss, welches in dem in den USA unter dem Handelsnamen Malox® vertriebenen Antazidum enthalten ist.
Von der Anwendung von nicht für den Zweck zugelassenen Medikamentenzubereitungen (an anderen Personen) kann nur abgeraten werden!
Insbesondere unter Berücksichtigung der erwartbaren Wirkung.
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