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Pfefferspray/OC

Auszug aus dem Factsheet Pfefferspray des Autonomen Sanitätskollektivs Göttingen

Zusammensetzung

Pfefferspray, z.T. auch nach der Wirkstoffmixtur Oleoresin capsicum OC benannt, ist ein Extrakt aus den getrockneten reifen Früchten des Chillipflanzen Capsicum annuum oder Capsicum frutescenes. Es wurden über 100 Inhaltsstoffe identifiziert, wobei Capsaicin (8-methyl-6-trans-nonenoyl-vanillylamide) das für die Wirkung von OC entscheidende ist, aber auch andere Inhaltsstoffe wie Phenole, Säure oder Ester reizend wirken. Capsaicin ist ein geruchloser, trockener Stoff, der sich gut in organischen und chloriden Lösungen und nur mäßig in Wasser lösen lässt. Trotz der eingeschränkten Wasserlöslichkeit kann OC dem Wasser von Wasserwerfern beigemsicht und so versprüht werden. Synthetisch hergestellt wird Capsaicin häufig als PAVA (Pelargonsäure-vanillylamid) bezeichnet.

Das Capsaicin wird in einem Lösungsmittel (z.B. Methanol, Hexan) gelöst und durch ein Treibmittel (z.B. Propan, Butan) aus sog. Reizstoffsprühgeräten (RSG) versprüht. Das Lösungsmittel kann eine Flüssigkeit oder ein Gel sein. Die nach Technischer Richtlinie RSG zugelassenen RSGs haben einen Anteil an Capsaicin von 0,3±0,03%.

Wirkung

Das Pfefferspray fängt an zu brennen, die Leute werden knallrot und winden sich. Samantha hüpft beim Rennen vor Schmerz auf und ab. Es ist so, als würde dir jemand die Haut abziehen und dich in Tabasco-Sauce tauchen, oder wie der schlimmste Sonnenbrand, den du dir vorstellen kannst.

(Ende Gelände We shut shit down, S. 28, Nautilus Flugschriften)

Akademischer ausgedrückt haben es Yeung und Tang in einer Übersichtsarbeit im Hong Kong Medical Journal: Sie haben aus der MEDLINE Datenbank, einer weltweiten Plattform auf der medizinische und biomedizinische Forschungen in Form von wissenschaftlichne Papern gesammelt werden, in einem mehrstufigen Verfahren 15 Veröffentlichungen über die Wirkungen von Pfefferspray systematisch zusammengefasst und in vier Gruppen eingeteilt:

  • dermal, d.h. die Haut betreffend
    • akuter, brennender Schmerz, Kribbeln, Hautrötung, Ödeme und Juckreiz
  • ophtalmologisch, d.h. die Augen betreffend
    • lang anhaltende Schmerzen, Fremdkörpergefühl, gesteigerte Lichtempfindlichkeit, unwillkürlicher Lidschluss, Tränenfluss und Schwellung um die Augen (periorbitale Ödeme)
    • in Einzelfällen Hornhautverletzungen (Abrasionen)
  • oral, nasal und die Atmung betreffend
    • Halsreizungen, Keuchen, Husten
    • durch Stimmbandkrämpfe möglicherweise Unfähigkeit zu sprechen
    • Verengung der Bronchien (Bronchiospasmus) und Brustenge
  • systemisch, d.h. den Herzkreislauf etc. betreffend
    • gestörte Hand-Auge-Koordination, Hyperventilation, gesteigerte Herzfrequenz (Tachykardien), Lungenödeme
    • durch stark gesteigerten Blutdruck kann es zu akuten Kopfschmerzen und einem Anstieg des Schlaganfallrisikos sowie zu Herzkreislaufstillstand kommen

Todesfälle im Zusammenhang mit Pfefferspray

Die veröffentlichten Zahlen der Todesfälle im Zusammenhang mit Pfeffersprayeinsätze schwanken. Die LA Times berichtete 1995 von über 70 Todesfällen seit 1993. In der 2004 veröffentlichten und vom US-amerikanische National Institute of Justice finanzierten Studie "Deaths in Police Confrontation When Oleoresin Capsicum is Used" wird der Tod von 63 Menschen in polizeilichem Gewahrsam untersucht, die mit Pfefferspray besprüht wurden. Das US Department of Justice diskutiert diese in der eigenen Veröffentlichung "The Effectiveness and Safety of Pepper Spray" und konstatiert "The study of in-custody deaths concluded that pepper spray contributed to death in two of the 63 cases, both involving people with asthma. In the other cases, the researchers concluded that death was caused by the arrestee's drug use, disease, positional asphyxia or a combination of these factors."

2009 berichtete der Spiegel über drei Todesopfer im Zusammenhang mit Pfefferspray im sleben Jahr. Alle drei Menschen hätten unter Drogeneinfluss gestanden. Auf die kleine Anfrage der MdL P.-B. Zimmermann (LINKE) anlässlich der Berichterstattung im Spiegel antwortete das niedersächsische Innenministerium:

Eine Risikobewertung geht grundsätzlich von gutem Gesundheitszustand einer erwachsenen Person aus, die u.a. nicht unter Drogen steht. Bestimmungen zum Einsatz des "Pfeffersprays" sollen das verbleibende Risiko anlassbezogen minimieren: so soll das "Pfefferspray" - außer in Fällen von Notwehr und Nothilfe - u.a. nicht gegenüber Kindern eingesetzt werden. Besprühte Personen sollen bis zum deutlichen Nachlassen der Wirkung stets beobachtet werden, um im Fall auftretender Komplikationen erforderlichenfalls ärztliche Hilfe anfordern zu können. Insbesondere bei Allergikern und Asthmatikern sind, soweit es zu einem Kontakt der Reizstoffe mit den Atemwegen kommt, Atembeschwerden nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen ist erhöhte Aufmerksamkeit seitens der einschreitenden Beamtinnen und Beamten gefordert. In Fällen von starken Erregungszuständen durch Drogenintoxikation (insbesondere Ecstasy) ist ein Rettungsdienst/Notarzt erforderlich.

Amnesty International zählte 2011 bereits über 100 Todesfälle. Während die o.g. Zahlen mit dem Einsatz von Pfefferspray in Verbindung stehende Tode beweisen, gibt es kaum eindeutig auf die Wirkung von Pfefferspray zurückführbare Todesfälle. Das heißt aber nicht, dass Pfefferspray unkritisch als "non-lethal" betrachtet werden darf.

Die wohl umfangreichste Übersichtsarbeit zur Pharmakologie, Toxikologie, Biochemie und Chemie von RCAs von Eugene J. Olajos und Harry Salem aus dem Journal of Applied Toxicology diskutiert den Kratschmer-Reflex, einen durch Reizstoffe (z.B. Chloroform, Diethylether, OC) über den Trigeminus-Nerv ausgelösten reflektorischen Atemstillstand, als wahrscheinliche Todesursache. Die Autoren beschreiben komplexe, durch das Herzkreislaufsystem ausgelöste Effekte auf das Herzkreislaufsystem, wie etwa beschleunigter Atmung (Tachypnoe) und Blutdruckabfall (Hypotension) (Bezold-Jarrish-Reflex), erniedrigte Herzfrequenz (Bradycardie) und Atemstillstand. Capsaicin hat spezifische und unspezifische Effekte auf sensorische und nicht-sensorische Neurone, aber auch auf andere Zellen als Nervenzellen. Es kann exzitativ, d.h. anregend, auf Nervenzellen wirken, aber auch ihren Zelltod herbeiführen. Auf Herzmuskelzellen kann es inhibierend wirken, d.h. es unterbindet die Kontraktion. Auf die Zellen der glatten Muskulatur der Eingeweide wirkt es erschlaffend, sodass es zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall kommen kann. Auf die Zellen der glatten Muskulatur in Gefäßen wirkt Capsaicin kontrahierend, sodass es zum Blutdruckanstieg kommen kann.

Exkurs Hornhautschäden

CN und CS Gas verursacht z.T. Hornhautablösungen, welche medizinische Behandlung erfordern. Im Vergleich dazu ist die Wirkung von Pfefferspray auf die Schleimhäute und Hornhaut des Auges "mild and temporary". Die Autor*innen einer im Jahr 2000 im Journal für Investigative Ophtalmology & Visual Science publizierten Studie untersuchten die Augen von zehn Freiwilligen bevor und nachdem sie diese aus einem Abstand von 1,5-2,5m mit 5,5% OC besprüht hatten. Dazu nutzten sie eine Spaltlampe, ein Keratograph, eine Sensitivitätstestung mittels Cochet-Bonet- sowie kontaktlosem Gas-Ästhesiometer, beurteilten die Sehschärfe und bestimmten den Nervenwachstumsfaktor NGF in der Tränenflüssigkeit. Diese umfassenden Untersuchungen wurden jeweils 30 Minuten, einen Tag, eine Woche und einen Monat nach der Exposition durchgeführt und zeigten Hyperämie, d.h. Mehrdurchblutung/Rötung, der Bindehäute (Konjunktiven), eine kurzzeitige bis zu sieben Tage reduzierte Berührungsempfindlichkeit der Hornhaut und kurzzeitigen epithelialen, d.h. die oberste (Horn-)hautschicht betreffenden, Zellschaden, welcher innerhalb von einem Tag spontan abheilte. Die Sehkraft war nach Abklingen der Akutsymptomatik unbeeinflusst. Die Autor*innen resümieren: "Although OC causes immediate changes in mechanical and chemical sensitivity that may persist for a week, a single exposure to OC appears harmless to corneal tissues. The changes are possibly associated with damage of corneal nerve terminals of mainly unmyelinated polymodal nociceptor fibers." Die Hornhautläsionen könnten, so die Verfasser*innen, auch von dem als Lösungsmittel im Pfefferspray enthaltenen Alkohol stammen, da gleichartige Schädigungen bei der Verwendung von mit Alkohol desinfizierten und unzureichend abgetrockneten Untersuchungsinstrumenten bekannt sind. Für Aktivisti macht es aber keinen Unterschied, ob das OC selbst oder ein anderer im Pfefferspray enthaltener Stoff die Schädigung verursacht. Relevant jedoch ist die herabgesetzte mechanische Berührungsempfindlichkeit. Der größere Hornhautschaden - welcher sich unter den Studienbedingungen (schnelle Erste-Hilfe-Maßnahmen, informierte Testpersonen, ärztliche Betreuung, etc.) nicht einstellte - entsteht sekundär, bspw. weil die juckenden und tränenden Augen gerieben werden. Aufgrund der herabgesetzten Berührungsempfindlichkeit kann/wird die Hornhaut durch zu großen Druck zerkratzt (med. es kommt zu sog. Abrasionen).

Ist Pfefferspray krebserregend?

Eugene J. Olajos und Harry Salem kommen in ihrem Paper im Journal of Applied Toxicology nach der Sichtung diverser Studien zur Mutagenität (verursacht ein Stoff Mutationen) und Gentoxizität (verursacht ein Stoff Erbgutschäden) von Capsaicin zu dem Schluss, dass von einem gentoxischen Potenzial ausgegangen werden muss. Die klinische Relevanz für Aktivisti, die gelegentlich mit Pfefferspray in Berührung kommen, ist fraglich. Vielmehr zeigt diese Feststellung, dass die auf der Aussage, es handle sich bei Capsaicin um einen natürlichen Stoff und ein Lebensmittel, gestützte Annahme der Stoff sei harmlos, unzureichend ist und es ordentliche Grundlagenforschung braucht.