Ist das Private immer Politisch?
Für uns hat sich die Frage gestellt, ob es Situationen gibt, in denen persönliche Konflikte politisch aufgeladen werden bzw. auch das Konzept der Definitionsmacht instrumentalisiert wird/werden könnte für persönliche Zwecke oder um damit Macht auszuüben. Ein gängiges Argument hierbei lautet, dass Kritik an Personen mit weniger Privilegien so unmöglich gemacht würde, weil die Angst, "etwas falsches" zu sagen, zu gross ist. Aber wenn wir uns anschauen, was hinter dieser Angst steckt, wird oft klar, dass dahinter die Widerstände stecken, sich kritisch mit Machtverhältnissen und Diskrimierungsformen auseinanderzusetzen.
Sicher ist jeder persönliche Konflikt in Machtverhältnisse eingebettet, und es ist nicht nur gut möglich, sondern Fakt, dass diese Politik in unsere persönlichen Beziehungen und Konflikte mitspielt. Ja, wir können auch in einem WG-Konflikt rassistisch handeln, Ja, auch unsere Sitzungsverhalten, unser Demo-Auftreten und unsere sexuellen Affären sind davon nicht frei, im Gegenteil. Dennoch gilt es, solche Situationen klar zu analysieren und sowohl strukturelle Machtverhältnisse wie auch individuelles Verhalten mitzudenken - und für beide und auf beiden Ebenen Verantwortung zu übernehmen.
Eine Möglichkeit der individuellen und kollektiven Verantwortungsübernahme könnte sein, zu erkennen, dass auch unsere persönlichen Beziehungen von verschiedenen Unterdrückungsformen durchdrungen sind - das gilt es anzuerkennen sowie auch die Gefühle die es bei davon betroffenen Personen auslöst. In einem weiteren Schritt auch die Gefühle der nicht direkt betroffenen oder gewaltausübenden Personen anzuerkennen und die hinter möglichen Widerständen gegenüber einer Auseinandersetzung mit Sexismus, Rassismus, Transfeindlichkeit, etc. stecken.
Wir denken, dass es wichtig ist, über die dazugehörigen Gefühle (mögliche Schuldgefühle, Ohnmachten, etc.) zu sprechen. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass z.b. rassismusbetroffene Menschen sich die ganze Zeit mit Rassismus auseinandersetzen müssen, und es nicht ihre Aufgabe ist, die Gefühlsarbeit für weisse Menschen zu übernehmen. Darüber könnte z.B. in einer Critical Whiteness Gruppe (bzw. Kritische Männlichkeiten*) gesprochen werden.
Dies kann heissen, die eigene Betroffenheit anzuerkennen, aber auch zu abstrahieren, ob und wie anders agiert oder reagiert werden kann. Das heisst für eine angeschuldigte Person, (ja,) die eigenen Privilegien und z.B. der definitiv vorhandene Rassismus anzuerkennen, aber deswegen auch nicht handlungsunfähig zu sein oder gemacht zu werden. Wichtig ist, diese z.B. rassistischen Komponenten zu erkennen, die eigenen Denkmuster zu reflektieren und gleichzeitig dennoch eine persönliche, solidarische Kritik üben zu können.