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Multidimensionale und intersektionale Perspektive im Konzept Definitionsmacht

Die Anerkennung der subjektiven Wahrnehmung im Sinn der Definitionsmacht heisst 
aber nicht, dass die Bestimmung von Konsequenzen oder Sanktionen auch Teil von 
Definitionsmacht ist oder sein muss.

Hierbei zu unterscheiden zwischen strukturell  bedingter Gewalt und Diskriminierung und zwischenmenschlichen Konflikten kann hilfreich sein, um die Parteilichkeit bezogen auf Konsequenzen abzuwägen. Definitionsmacht ist also nicht unbedingt Handlungsmacht. Nur schon deswegen nicht, weil auch wir als Unterstützer_innen sowohl persönlich als auch politisch 
Positionen haben. 

Es ist wichtig sich immer zuerst klar zu machen ob es sich um einen Konflikt oder um einen Übergriff (oder beides) handelt. Auch in zwischenmenschlichen Konflikten spielen historisch und strukturell bedingte Unterdrückungsformen immer mit. Aus einer multidimensionalen Perspektive wird möglicherweise deutlich, welche Sozialisationsbedingungen und allfälligen Unterdrückungsformen bei der anderen Person eine Rolle spielen. Natürlich gibt es absolut "unentschuldbares" Verhalten - eine "vorschnelle" Parteilichkeit erachten wir jedoch als hinderlich, weil es Ziel sein sollte, den Konflikt (und nicht: Gewaltvorfall) zu lösen, Verständnis füreinander zu schaffen, etc.

Ob eine Situation als Konflikt oder als Übergriff verstanden werden soll, ist sicherlich nicht immer einfach zu beantworten. So oder so spielt die Reflexion der Machtebenen eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Situation. Wie der Name schon sagt, geht es bei der Definitionsmacht darum, wer wie Einfluss ausüben kann über die Art und Weise, wie eine soziale Interaktion verlaufen ist. Da 
wir davon ausgehen, dass alle sozialen Interaktionen von Herrschaftsmustern, Machtgefällen sowie auch unter anderem dadurch bedingte Dynamiken beeinflusst sind, erachten wir es erstmals als richtig, dass die_der Betroffene die Definitionsmacht hat. Es geht dabei nicht zwingend darum, eine objektive Wahrheit des Geschehenen zu etablieren, sondern eben darum, GegenMACHT aufzubauen.

Dass das natürlich eine komplexe Angelegenheit ist in Anbetracht davon, dass wir alle dazu fähig sind zu diskriminieren, als auch fast alle von irgendwelchen strukturellen Benachteiligungen betroffen sind, ist klar. Auch deshalb erachten wir die Langfristigkeit von transformativen Prozessen (wie Transformative Gerechtigkeit - was auch immer Gerechtigkeit heissen mag...) als geeigneter um gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme herzustellen, als kurzfristige Sanktionierung - eben auch, weil solche Prozesse es zulassen, verschiedene Betroffenheiten anzugehen und zu verstehen. Dabei soll die soziale Positionierung einer Person nie ein übergriffiges Verhalten entschuldigen. Positionierungen können aber für das Verstehen der Situation in einem transformativen Prozess enorm wichtig sein. 

Dass das Konzept der Definitionsmacht historisch betrachtet von Schwarzen TINF (TransInterNichtBinärFrauen)-Personen in den USA erarbeitet wurde, macht sichtbar, warum es so wichtig war, eine Gegenmacht aufzubauen. Nur schon als TINF-Person auf juristischem Weg Anerkennung für erlebte Übergriffe zu erreichen ist aufgrund der patriarchal geprägten Institutionen wie Polizei und Gerichten oftmals ein mühseliger und gefährlicher Spiessrutenlauf. Als BIPOC (Black Indigenous Person Of Color) wird dir dann nicht nur nicht geglaubt, sondern durch das Zurückgreifen auf diese Institutionen droht den Personen selber und/oder ihren Communities erneute Gefahr von Gewalt, Erniedrigungen, etc. Also musste damals in den USA ein neuer Umgang mit Übergriffen gefunden werden, jenseits von Polizei und Justiz.

Wir sind überzeugt, dass dieses Konzept auch in anderen Kämpfen gegen Diskriminierung und auf dem Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft ein nützliches Instrument sein kann - jedoch verlaufen die Differenz- und Herrschaftslinien teilweise nicht ganz so klar wie im historischen Beispiel.