Autoritäre Awareness
Etwas, was wir als Awareness-Gruppe bei Veranstaltungen in christlich-weissen, feministischen Räumen manchmal erleben, ist eine gewisse Unmut, wenn wir über Rassismus, Transfeindlichkeit, Intersektionalität und Multidimensionalität sprechen.
Diese Unmut wird explizit oder implizit von anwesenden weissen cis-Feministinnen geäussert. Überspitzt gesagt, wollen sie stark machen, dass die Konzepte Awareness und Definitionsmacht "ihnen" gehören, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen "die
schlimmste" Gewaltform sei, und dass wir primär solche Vorfälle an Parties oder in Beziehungen betrachten sollen.
Diese cis-Frauen haben hiermit eine "Unterdrückungs-Olympiade" eröffnet: also eine Hierarchisierung von Gewaltformen. Und sie stehen an der Spitze. In dieser Abwehrhaltung verneinen oder ignorieren diese Frauen eigene Gewaltanteile, z.B. Rassismus oder Transfeindlichkeit. Sie beanspruchen das Konzept der Definitionsmacht für sich. Das Ganze erscheint wie ein Machtspiel: Welche
(christlich-weisse, cis) Frau zuerst "Definitionsmacht" gerufen hat, hat gewonnen; diese Person thront dann auf ihrem hohen Sockel und stellt sich als unantastbar und unfehlbar dar. Die Definitionsmacht wird wie ein Zepter geschwungen und Leute für ihre Fehlbarkeit bestraft.
Diese eingeforderte Form von Awareness ist eindimensional und denkt einen transformativen Prozess nicht mit. Es mag verständlich sein, dass diese Frauen jahrelang für die Anerkennung von sexualisierter Gewalt auch in der Szene gekämpft haben, und unsere Betonung von Selbstreflexion und Multidimensionalität wie ein Angriff auf ihre Deutungshoheit, und somit als Absprache ihrer Gewalterfahrung erscheint. Nicht im Geringsten wollen wir absprechen, dass sexualisierte Gewalt real und schlimm ist. Wir wehren uns aber dagegen, dass die Konzepte einseitig beansprucht und damit eigene Gewaltanteile versteckt oder ausgeblendet werden.
In realen Gegebenheiten sind nämlich, wie oben besprochen, oft verschiedene Unterdrückungsformen vorhanden. Was tun zum Beispiel in einer Situation, wo Sexismus und Rassismus gleichzeitig vorhanden sind? Hat da etwa die Person gewonnen, die zuerst Definitionsmacht ausgerufen hat? Wie können wir also eine multidimensionale Perspektive einnehmen?
Ein weiterer Aspekt von eindimensionaler, nicht selbst-reflektierter und wenig machtkritischer Awareness-Arbeit im allgemeinen ist, dass solche Gruppen sehr viel Macht von der Szene erhalten sowie diese Macht auch wahrnehmen bzw. benutzen. Dies vorzubeugen, anzusprechen und dieses Machtgefälle abzubauen ist enorm wichtig.
Schliesslich kann - selbstkritisch - auch angemerkt werden, dass Personen mit weissen Privilegien, also auch weisse Awareness-Personen, das Gefühl haben, sie hätten sowieso alle Unterdrückungsformen verstanden und könnten Menschen unterstützen, egal von welcher Gewalt sie gerade betroffen sind. Als Beispiel: christlich-weisse Feministinnen glauben, sie hätten Rassismus voll und ganz verstanden, weil sie Unterdrückung in Form von Sexismus kennen und eine einfache Analogie ziehen - Unterdrückungsformen sind jedoch komplex und nicht 1:1 übertragbar und vergleichbar! Dieser genannte Expert_innenstatus kommt weissen Menschen in unserer rassistischen Gesellschaft, die von weisser Vorherrschaft geprägt ist, zugute. Gleichzeitig werden rassifizierte Personen als voreingenommen, emotional, aggressiv etc. wahrgenommen, wenn sie über Rassismus sprechen.